Cain: Still. Die Kraft der Introvertierten. Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2013.
Mit „Still. Die Kraft der Introvertierten.“ wirft Susan Cain eine Blick auf ein Temperament, das in unsere Gesellschaft oft unterbewertet wird. Genaue Erhebungen gibt es nicht, doch je nach Stichprobe unterschiedlicher Studien sind 30-50% der Menschen introvertiert. Viele negative Zuschreibungen reihen sich um die Introvertierten. Letztlich wird ihnen Temperament abgesprochen. Sie werden als schüchtern, gehemmt, zurückgezogen oder gar als nicht sozialfähig bezeichnet. Das Ideal unserer Gesellschaft muss dann wohl “extravertiert” sein. Sich darzustellen, kontaktfreudig zu sein und sich nach außen präsentieren und zeigen zu können – das alles sind Erfolgsfaktoren unserer Zeit. Susan Cain, ehemalige Wallstreet Anwältin, hat sich über 7 Jahre lang intensiv mit dem Phänomen der Intro- und Extraversion auseinander gesetzt, wissenschaftliche Ergebnisse und ihre Erkenntnisse in ihrem Buch zusammengefasst – genauso wie zahlreiche Interviews, Beispiele und „Selbstversuche“.
Ihr Buch unterteilt sich in die drei Abschnitte „I. Das Ideal der Extraversion“, „II. Unsere Biologie, unser Selbst“ und „III. Formen der Liebe und Arbeit für Introvertierte“. Susan Cain zeigt, wie die Extraversion zum gesellschaftlichen Ideal wurde und sich diese Wandlung v.a. in den USA im Laufe des 20. Jahrhunderts vollzog. Sie verdeutlicht dabei den Wechsel von einer „Charakterkultur“, in der Werte wie Pflichtbewusstsein, Fleiß, Ehre und Moral wesentlich waren, zu einer „Persönlichkeitskultur“, die primär die eigene Vermarktung in den Vordergrund setzt. Sie beschreibt die heutige Persönlichkeitskultur, welche Auswirkungen sie auf introvertierte Menschen hat, welche extrovertierten „Webfehler“ sich z.B. im Mythos der charismatischen Führung befinden und welche introvertierte Potenziale in Teamarbeit, Großgruppenbüros und Co. nicht zur Entfaltung kommen. Dann geht sie auf die verschiedenen Persönlichkeitsmerkmale der Temperamente Introversion und Extraversion ein und zeigt auf, wie sie sich auf unser Leben auswirken.
Stärken sehen, die leisen Töne schätzen
Cain wirbt für eine Gleichberechtigung unterschiedlicher Stärken und dafür, beide Temperamente in der Gestaltung von Erziehungs-, Schul-, und Arbeitswelten gleichwertiger einzubeziehen. Im vierten Teil, der sich „Ergänzung zur Taschenbuchausgabe“ nennt, gibt sie Ratschläge und das, was man am ehesten Lebenshilfe für den Introvertierten nennen könnte. Es ist eine Art Kurzzusammenfassung mit Anleitung zum Reden halten oder zum Großziehen introvertierter Kinder. Sie möchte mit ihrem Buch stille Menschen dazu ermutigen, das eigene Temperament zu erkennen und dessen Stärke zu nutzen. Zugleich gibt sie extrovertierten Menschen eine interessante Perspektive auf das für sie oft schwer verständliche, stille Gegenüber. Gerade auch für extrovertierte Führungskräfte eine gute Lektüre, um stillere Mitarbeiter besser kennen zu lernen und einsetzen zu können.
„Still: Die Kraft der Introvertierten“ ist dabei ein Werk, das mit viel Humor, lustigen, nachdenklichen Anekdoten aus allen Lebensbereichen und vielen Beispielen einen leicht zu lesenden, vergnüglichen Blick auf den „Norden und Süden des Temperaments“ legt.
Cain, Susan: Still: Die Kraft der Introvertierten. Wilhelm Goldmann Verlag, München. 1. Auflage 2013.