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Die wunderbare Reise: Der kleine Nils Holgersson und die Wildgänse

von Dez 11, 2023Impulsgeschichten

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen ist eine der schönsten Geschichten in der Adventszeit. Denn die Erzählung rund um den kleinen Wicht aus 1906/ 1907 entführt uns in eine andere Welt der Liebe und Versöhnung und beschert uns besinnliche Stunden. Sie ist das vielleicht bekannteste Werk der berühmten schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf (1858-1940). [1] 

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson

Auf einem Hof im Süden Schwedens lebt der 14-jährige Nils Holgersson. Nils quält und scheucht die Tiere des Hofes. Eines Tages wird Nils zur Strafe für einen bösen Streich an einem Wichtelmännchen selbst in einen Wichtel verwandelt. Die Hoftiere wollen sich nun am Jungen rächen. Nur die zahme Hausgans Martin nimmt Nils in Schutz. Martin will sich den Wildgänsen anschließen, die in diesen Tagen über die Ostsee kommen und zu ihren Brutgebieten in Lappland fliegen. Doch die Wildgänse verspotten Martin, statt ihn offen in ihren Schwarm aufzunehmen. So versucht Nils, den Gänserich mit ganzer Kraft am Abflug zu hindern. Doch Martin weiß, was er will und er hebt mit dem Jungen auf dem Rücken ab, schließt sich ungefragt dem Schwarm der Wildgänse an und reist mit ihm durch ganz Schweden. Bald schon hat Martin den Wildgänsen bewiesen, dass er ihnen nicht zur Last fällt und die Reise bestehen kann.

Nils hilft einigen Tieren in Not. Irgendwann erreicht die Anführerin des Vogelzugs die Nachricht, dass Nils nun zurückkehren und wieder ein Mensch werden kann. Aber Nils mag inzwischen sein neues Leben und will lieber mit den Wildgänsen weiterziehen. So erlebt er manches Abenteuer und bewährt sich Episode für Episode in vielen moralischen Konflikten. Als der Schwarm im Herbst die Rückreise aus Lappland antritt, machen Nils und Martin einen Stop auf dem Hof der Eltern. Die Eltern sind vom Kummer um ihren verschwundenen Sohn gezeichnet. Sie fangen den Gänserich, sind erleichtert, dass ihr Sohn ihn doch nicht gestohlen hat und wollen die Gans nun schlachten. Nils kann das nicht zulassen, Martin ist sein Freund. Er überwindet seine Scham, ein Wichtelmännchen zu sein, tritt dazwischen und wird in diesem Augenblick wieder ein Mensch.

 

Hintergrund des Romans Nils Holgersson

Um 1900 gab der Verband der schwedischen Volksschullehrer eine Reihe neuer Lesebücher für die Schule in Auftrag. Mit dem Band über Land und Leute Schwedens wurde Selma Lagerlöf betraut, die damals schon eine der bekanntesten und angesehensten Schriftstellerinnen des Landes war. Grundlegend für den Roman ist dafür die Idee, Schweden aus der Vogelperspektive und so gerade die Schönheit der Landschaft anschaulich darzustellen. Dafür lässt sie ihren Protagonisten in einen Wichtel verwandeln und auf dem Rücken einer Gans durch Schweden fliegen. Dass das Wichtelmännchen festverwurzelter Bestandteil des schwedischen Volksglaubens ist, macht die Idee besonders reizvoll. Es werden verschiedene Motive wie Wetterkapriolen eingeführt, um den Zickzackkurs der Gänse zu motivieren bzw. die lehrbuchartige Anlage des Romans zu kaschieren.

Den zahmen Gänserich, der sich den Wildgänsen anschließt, gab es tatsächlich. Zur Zeit des Urgroßvaters Selma Lagerlöfs, Pastor Wennerwik, hatte sich im Frühling ein zahmer weißer Gänserich den ziehenden Wildgänsen angeschlossen und ist im Herbst mit Frau und sieben Kindern nach Hause zurückgekehrt. Nur wurde die historische Hausgans nicht gerettet. Alle neun Gänse wurden geschlachtet.

Vom Bildungsroman zu einem Stück Weltliteratur

Skandinavien, deutscher und angelsächsischer Sprachraum kultivieren seit gut 250 Jahren (Identitäts-) bildende Kinder- und Jugendliteratur. Das trägt zu Erziehung und gesellschaftlicher Sozialisierung bei und erkennt auch in aktuellen Themen [2] die Autonomie des Kindes an – bereits in einer Zeit als Eltern wenig verfügbar waren. Gerade Nils Holgersson gilt heute als Klassiker der Weltliteratur. Der Schreibstil war innovativ. Die einfachen Sätze erinnern an Legenden. Es war das erste literarische Werk in der modernen schwedischen Rechtschreibung von 1906 mit ihrer vereinfachten Schriftsprache. Die Nähe zu Magie und Phantasie und der repetitive Aufbau der Episoden mit z.B. vielen ähnelnden Fragen erinnern an Märchen. Der Stil war weder offen moralisierend noch belehrend. Das kam gut an. Bereits im ersten Jahr wurden neben den Schulauflage 100.000 Exemplare verkauft.

Nur die Schulbehörde störte sich an der unterhaltsamen märchenhaften Art und der Kirche fehlten explizit christliche Inhalte. Nils Holgersson ist ein heimatverbundener Abenteuerroman, der an die jugendliche Sehnsucht nach Ausbruch aus der Heimat anknüpft. Selma Lagerlöf stellt dem Buch zwei Texte voran, um den Sinn der Reise des kleinen Nils anzudeuten. Zum einen das patriotische Gedicht von Carl Snoilsky („Schwedens Karte“), in dem es heißt, dass ein Bild von Schweden in die Brust des Kindes gelegt und dort ein Leben lang bewahrt werden soll. Zum anderen ein Kirchenlied („Das christliche Tageslied“), in dem sich die Seele voll Freude wie ein Vogel zum Himmel erhebt. Neben Landeskunde geht es ihr um ethische Bildung. Während seiner Reise lernt Nils Verantwortung und Achtung für die Mitgeschöpfe zu übernehmen und zu Versöhnungen beizutragen.

Die Weisheit der Wildgänse

Trotz aller Technologieaffinität weist die Geschichte auch auf eine Rückbesinnung zur Natur. Gerade Wildgänse leben natürlich mit dem Rhythmus der Natur und der Jahreszeiten. Wildgänse fliegen in ihrer typischen synergetischen V-Formation im Schwarm in ihre saisonalen Quartiere. Der , Flügelschlag eines Vogels erzeugt für den je dahinter fliegenden eine tragende Thermik, die enorm energiesparend ist. Dadurch können die Schwärme wohl 70 Prozent weiterfliegen als ein Vogel alleine. Die kräftezehrende Position an der Spitze wird laufend mit rhythmischen Lauten des Schwarms angefeuert und immer wieder abgelöst. Kranke und geschwächte Vögel, die die Formation verlassen werden von zwei anderen Gänsen begleitet bis sie sich wieder erholt haben oder sterben. Eine beeindruckende soziale Leistung.

Da viele Szenen mit wunderhaften oder surrealen Momenten nachts spielen, wenn die Gänse schlafen, gibt es keine klare Trennung vom erlebter und geträumter, von äußerer und innerer Wirklichkeit.[3] Die Hausgans Martin ist schon auf dem Hof unabhängig von den andern Tieren, grenzt sich von den negativen Schwingen der anderen ab, lebt aus offenen Herzen, schöpft aus der innern Kraft und inneren Impulsen. Martin wird Nils zum Vertrauten, Begleiter und Freund. Nils lernt vom Gänserich, seiner inneren Führung zu folgen, sieht dass sie ein Teil des Ganzen ist und lernt zu empfinden, was die Gemeinschaft und die Mitwesen gerade brauchen. Mit Martins Hilfe kommt Nils zu neuen Perspektiven und Erfahrungen. In diesem Füreinander findet er den Weg zu sich selbst. Der Psychologie ihrer Zeit ist die Autorin mit der Abbildung des inneren Entwicklungsprozesses damit voraus. 

Narrativ einer Heldenreise des kleinen Nils

Auf der Reise vom alten zum neuen Selbst geschieht die Veränderung in der Pubertät auf dem Weg. Im narrativen Schema vom Verlassen nicht nur der menschlichen Existenz, sondern auch des elterlichen Hofes wird zunächst die bisherige Identität und Sicherheit durch die Verwandlung in ein Wichtelmännchen jäh verloren. Nils tritt in eine unbekannte neue Welt ein und verwandelt sich selbst bis zur Rückkehr in die alte Heimat. Die Erzählstruktur folgt der gängigen Dramaturgie alter Mythen. Denn sie spiegelt die menschliche Erfahrung von Transformation und Entwicklung, die über die Zeit gerafft wird. Am Ende überwindet Nils alle Gefühle von Schuld und Scham seinen Eltern gegenüber und setzt sich für seinen Freund Martin ein. Seine Rückverwandlung in einen Menschen als Lohn steht dafür, dass er nun endgültig einen Platz in der Welt gefunden hat.

Die pädagogische Absicht der Erzählung wird realisiert, indem der entscheidende Bewusstseinsschritt von Nils Holgersson jedoch bereits unmittelbar nach seiner Verwandlung in einen Wichtel vollzogen wird. Nun sieht er Zusammenhänge neu und bekommt einen feineren Sinn. Sofort wird zu eine verantwortungs- und selbstbewussten, hilfsbereiten, selbstbewussten, lernbegierigen Jugendlichen und Rollenmodelll. Von ihm können Kinder fortan Werte wie Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft nun folgend in kleinen Episoden erfahren.

Wichteln

Wichtel oder Wichtelmännchen ist ein Diminutiv (Verniedlichung) von Wicht, einem Begriff, der im Altdeutschen allgemein für lebendes Geschöpf stand. Als Wichtel werden in Märchen, Sagen und Erzählungen Wesen bezeichnet, die von der Gestalt und Art her menschenähnlich sind, aber deutlich kleiner und in eigenen Gemeinschaften leben. Er wird nach den Brüdern Grimm fast ausschließlich in der Bedeutung von Kobold, Zwerg gebraucht.

Begrifflich abgeleitet ist der aus Skandinavien stammende Brauch des vorweihnachtlichen Wichtelns. Der ursprüngliche Brauch sah vor, dass das Geschenk den Beschenkten bis zu einem verabredeten Termin (oft in der Adventszeit) heimlich zugesteckt wird. Daher stammt der Bezug zum „Wichtel“, der nordischen Sagengestalt, die heimlich Gutes tut. Heutzutage werden die Geschenke meistens bei einer Feierlichkeit anonym ausgetauscht. Durch die zufällige Zuordnung von Schenkendem und Beschenktem werden alle Gruppenmitglieder gleichgestellt. Die Art der Geschenke wird vorher grob festgelegt. In der Regel steht die Originalität des Geschenkes im Vordergrund, nicht der materielle Wert.[4]

 

[1] 1909 erhielt sie als erste Frau den Nobelpreis für Literatur und 1914 wurde sie als erste Frau in die Schwedische Akademie aufgenommen. Ihr Œuvre umfasst religiöse, fantasievolle und heimatverbundene Werke und Kinderbücher.

[2] Um 1900 aktuelle Themen wie Armut, Kinderarbeit, Auswanderung sowie der Kampf für Volksgesundheit, Hygiene und gegen die Tuberkulose werden behandelt und Hoffnungen auf die zunehmende Industrialisierung gesetzt.

[3] Der Name der Leitgans Akka von Kebnekaise setzt sich aus den Namen zweier Berge in Lappland zusammen: Akka, manchmal auch „Königin Lapplands“ genannt, und Kebnekaise, dem höchsten Berg Schwedens. Akka bedeutet auf Samisch Mutter; auf Samisch und Finnisch Alte bzw. die Weise; der Begriff taucht sowohl in der samischen wie auch der finnischen Mythologie auf. Die Namen der anderen Gänse (Yksi, Kaksi, Kolme, Neljä, Viisi, Kuusi) sind die finnischen Zahlen von Eins bis Sechs.

[4] Eine Variante ist, dass der Beschenkt vorher noch gar nicht feststeht. Sondern, dass ein Würfel rundum geht und Teilnehmer, die eine Eins gewürfelt haben, sich ein Geschenk auswählen dürfen. Wenn alle ein Geschenk haben, wird zeitgleich ausgepackt. Danach wird nochmal z.B. zehn Minuten lang erneut gewürfelt. Bei festgelegten Zahlen (beispielsweise einer Eins und einer Sechs) muss man sein aktuelles Geschenk mit dem Geschenk eines anderen tauschen; bei einer Drei werden alle Geschenke an den jeweils rechten Nachbarn weitergegeben. Die zuvor festgelegte Zeit sorgt dafür, dass am Ende alle Teilnehmer ein zufälliges Geschenk haben.


 

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