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Lerneinheit Konfliktmoderation – Von der Wünschepost

von Mai 15, 2016Blogs

Inwieweit dient die Wünschepost als indirektes dialogisches Verfahren für Gruppen dazu, Konflikte zu klären? Wie funktioniert das Verfahren? Welche Spielregeln und Rollen sollten hier beachtet werden?

 

Kompetenz in Konfliktmoderation – Wünschepost

Die Zusammenarbeit mit anderen ist selten frei von Konflikten. V.a. in Kliniken, wo Wandel an der Tagesordnung ist und der Umgang mit z.T. schwer kranken Patienten psychisch belastet. Angesichts der knappen Ressourcen haben strukturbedingte Konflikte zwischen den Professionen Tradition. Konflikte belasten den Alltag und killen Motivation. Im schlimmsten Fall beeinflussen sie den Umgang mit den Patienten und deren Zufriedenheit mit der Klinik. Umso wichtiger ist es, die Energie der Konflikte konstruktiv zu nutzen.

 

Eigen-, Fremd- oder Stellvertreterkonflikt?

Beim Bearbeiten eines Konflikts ist zuerst die Konstellation zu analysieren. Haben Mitarbeiter miteinander Probleme, so ist die Führung für die Klärung des Fremd-Konflikts zuständig. Dies bedeutet nicht, dass sie das Problem selbst zu lösen oder die Lösung zu moderieren hat. Sie trägt jedoch Sorge dafür, dass der Konflikt bearbeitet wird. Willigen beide Betroffenen ein, den Konflikt miteinander lösen zu wollen, dann wird eine Moderation möglich. Ist die Führung persönlich in den Konflikt einbezogen, liegt ein Eigen-Konflikt vor. Dann bedarf es zumindest eines unbeteiligten Moderators oder Coaches- sofern die Führung die nötige Reflexion besitzt und es nicht um undiskutierbare Spielregeln der Hierarchie geht. Nur in einem hierarchiefreien Raum und wenn gemeinsame Entscheidungen nachhaltig getragen werden, wird aufrichtiges Interesse an Konflikt nachhaltig lösbar.

Nicht selten werden in hierarchischen Organisationen zudem Stellvertreter-Konflikte an der Basis auf persönlicher Ebene ausgetragen (statt dort, wo sie sachlich hingehören). Folge sind gespaltene Teams und Lager. Konflikte klären sich nie ohne aktives Zutun. Man sollte sie daher nie schwelen lassen. Eskalation im Konflikt erfolgt ja meist gerade dann, wenn es ungünstig ist. Sind in den Konflikt ganze Gruppen eingebunden, dann hat die Gruppendynamik besonderes Potenzial wie ein Brandbeschleuniger zu wirken. Es braucht daher systematische Lösungen, mit dieser Thematik in Organisationen umzugehen. Eine ist der indirekte Dialog zur Konfliktklärung, die wir gerne plastisch Wünschepost nennen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, das die Dialogfähigkeit zwischen den Parteien wieder herstellt und das Risiko gegenseitiger emotionaler Beschuldigungen und direkter Konfrontation senkt.

 

Wünschepost: der indirekte Dialog über die Moderation

Gruppenkonflikte werden in einer Sequenz von meist drei moderierten Sitzungen bearbeitet. Die Sitzungen werden mit allen Seiten– bei Bedarf unter moderierter Anleitung – vorbereitet. Die Zeit zwischen den einzelnen Sitzungen ist wichtig für den Prozess. Wenn der Konflikt sehr brodelt, hat es sich auch bewährt, das erste Treffen mit den Gruppen bereits vorzubereiten. Die Einhaltung des Formats der indirekten Kommunikation über die Moderation und der Spielregeln ist für den Erfolg des Verfahrens zentral.

1. Der Wunsch 

Während der 1. gemeinsamen Sitzung formulieren die Parteien ihre Bedürfnisse und Anliegen an die jeweils andere Seite. Die Wünsche werden vorgestellt und im Kontext der Bedürfnisse erklärt. Die Vorstellung wird weder kommentiert noch bewertet. So arbeiten die Betroffenen mit der Methodik der 4 Schritte der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg, ohne dies explizit Beobachtung – Gefühl – Bedürfnis – Bitte zu nennen. Alle hören sich zu. Verständnisfragen werden über den Moderator adressiert. Dann gehen alle wieder auseinander und mit dem Gehörten zurück in ihre Gruppen. Dort folgt die Auseinandersetzung mit den an sie heran getragenen Anliegen.

2. Das Angebot – Geben

In einer 2. moderierten Sitzung formulieren die Gruppen nun Angebote an die andere Seite. Sie gehen darin auf die Wünsche und Bedürfnisse  der anderen ein. So zeigen sie, diese ernst zu nehmen. Im Anschluss stellen sie vor, zu welchen Schritten sie bereit wären, um das vom anderen Verstandene mit den eigenen Anliegen bestmöglich zu verknüpfen. Auch bei der Formulierung der Angebote gilt: alle hören sich zu. Die Angebote werden weder kommentiert noch bewertet. Es wird vorerst auch nicht über die Angebote verhandelt, selbst wenn viele Angebote bereits annahmefähig wären. Mit den Angeboten gehen die Mitarbeiter nochmals zurück in ihre Gruppen. Die Angebote werden gewürdigt und reflektiert.

3. Das Annehmen – Nehmen

Der 3. Schritt bildet die Annahme der Angebote, die den Schulterschluss beider Seiten herbeiführt. Nun gilt es zu entscheiden, ob die offerierten Angebote die eigenen Anliegen befriedigen, und in den Dialog darüber zu gehen. Vereinbarungen werden fortlaufend fixiert, bis beide Seiten mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Nach dem Verfahren ist zu späterer Zeit ein Review möglich, in dem Wirksamkeit, Verbindlichkeit und Entwicklung verfolgt werden.

 

Spielregeln und Rollenprofessionalität

Entscheidend für das Gelingen der Wünschepost  sind einige Faktoren, deren sich die Beteiligten bewusst sein sollten:

Die Führung als Vorbild

Mitarbeiter orientieren ihr Verhalten am Verhalten ihrer Vorgesetzten. Gerade in der Konfliktbearbeitung, bei denen Führungen am Konflikt beteiligt sind, ist es daher unerlässlich, dass die Führungsriege den Prozess geschlossen unterstützt und als Vorbild voranschreitet. Dazu gehört, sich durch respektvolle Kommunikation und unbelastetes Zuhören selbst zu beteiligen und keine Vertreter zu entsenden.

Die Kunst des Zuhörens

Aktives Zuhören bedeutet, für den anderen präsent zu sein, sich wertfrei in ihn einzufühlen und die Welt aus seinen Augen zu sehen. Damit dies gelingt, ist es wichtig, sich nicht von eigenen Assoziationen und Bewertungen ablenken zu lassen, sondern so präsent zuzuhören, als müsste man das Gesagte anschließend uneingefärbt wiederholen.

Die wertschätzende Kommunikation

In emotional aufgeladenen Konflikten kommunizieren Menschen oft problemorientiert, verallgemeinernd und in (passiv-) aggressiven Vorwürfen. Gerade dann wäre Wertschätzendes nötig, um eine weitere Verhärtung und Eskalation zu vermeiden. Das Verfahren der Wünschepost und stringente Moderation unterstützen dabei. Ich-Wahrnehmungen anstelle von vorwurfsvollen Du-Botschaften.

Die objektive Konfliktmoderation

Ziel von Konfliktklärung und -moderation ist, den Prozess und seine Spielregeln abzusichern, die eigene Konfliktlösungsfähigkeit der Betroffenen zu stärken und so auch implizit den Rahmen für ein künftiges konfliktarmes Miteinander zu stecken. Verletzungen auf emotionale Beziehungsebene würdigen und wenn nötig versöhnen (Restorative Circles) und darüber hinaus die Sachthemen verständig zu lenken (Harvard Modell). Zu bedenken ist hier: Oft überlagern sich bei Konflikten Problematiken in Strukturen, Prozessen und Kommunikation, und werden auf einer persönlichen Ebene ausgetragen, auf die sie nicht gehören (Stellvertreter Konflikt).

 

Es gilt, nicht der Gefahr des Ja-Aber-Spiels und damit dem Austausch von Argumenten zu verfallen, wenn man die Bedürfnisse auf den Tisch bringen will. Sondern selbst geklärt, die eignen Bedürfnisse einen Moment hinten anzustellen und die Bedürfnisse des andern empathisch in den Blick zu nehmen. Um sich aufrichtig mitteilen zu können, ist zunächst Empathie für die Bitte zu geben. So dass der Bittende die Sicherheit bekommt, gesehen und gehört zu werden. Zu zeigen, dass man die Bitte gehört hat und welche empathische Vermutung zum Wozu – als Frage oder Konjunktiv formuliert – man dazu hat.

 

7. Niemand kann Empathie geben, bevor er nicht selbst Empathie bekommen hat

Eine konkrete Bitte ist eine Strategie, die zunächst die Bedürfnisse des Fragenden in den Blick nimmt. In der GFK ist die Bitte nur verstehbar, wenn sie in Zusammenhang mit den dahinter stehenden Gefühlen und Bedürfnissen geäußert wird. Wer eine Bitte äußert will etwas ändern. Die Gewaltfreie Kommunikation kennt unterschiedliche Arten von Bitten auf Ebene der Strategie. Ihr Fokus liegt dabei darauf, in Verbundenheit miteinander zu sein.

  • Handlungsbitten: sind Bitten um eine bestimmte Handlung oder um ein inhaltliches Feedback (oft um zu schnellen Lösungen zu kommen)

  • Beziehungsbitten: sind Bitten um eine einfühlsame Reaktion, um eine Mitteilung, was beim anderen angekommen ist oder wie es ihm damit geht, was er dabei empfindet. Es geht dabei als darum, dem Fühlen Raum zu geben.

Es git zunächst, das Bedürfnis des Bittenden hinter seiner Bitte genauer zu ergründen. Emphatische Vermutungen dürfen dabei nicht auf Gedanken abstellen, sondern das Fühlen adressieren. Schnell werden im Eifer des Gefechtes Gefühle mit Gedanken oder gar Vorwürfen verwechselt. Das aber zerstört jeden Kooperationswillen. Selbst wenn eine Handlungsbitte geäußert wurde, kann es sein, dass der Anfrager das Nein nicht in der Sache, sondern (1.) auf der persönlichen Ebene hört, als Absage an die Beziehung. Und dass er (2.) so in seine Bedürfnisse verstrickt ist, dass er kein Ohr für die Antwort hat und ein Nein (noch) nicht empathisch hören kann. Dann war die Fähigkeit offen mit einer Antwort umgehen zu können, nicht gegeben.

Eine echte Bitte im Dialog muss mit einer offenen Entscheidung – ja oder nein – umgehen können, sonst ist es keine. Dann braucht der Antwortende nicht mit einem Nein und seinen Bedürfnissen anfangen. Vielmehr gilt es nun erst einmal, um die Beziehung zu halten, die eigenen Bedürfnisse einen Moment zu parken und die Bedürfnisse hinter der Bitte in den Blick zu nehmen. Der Bittende braucht so lange Einfühlung, bis er sich entspannt hat. Die Zeit zum Nachspürenlassen, ob es im Hier und Jetzt gut ist, Zuhören, Raum halten. Wenn der Bittende in seinen Konflikt nicht so reflektiert ist, sich selbst Einfühlung zu geben, braucht er die Empathie des Zuhörers.  Sich auf der Ebene seiner Bedürfnisse gehört zu fühlen, lässt spüren, dass ich dem anderen wichtig bin. Menschen sind oft erst in der Lage, empathisch auf die Bedürfnisse anderer zu reagieren, wenn sie selbst Empathie bekommen haben.

 

8. Empathisch Zuhören bevor man sich aufrichtig mitteilen kann

Marshall B. Rosenberg erkannte: „Empathisch mit dem Nein des anderen zu sein, schützt uns davor, es persönlich zu nehmen.“ 

In der GFK gibt es keine Abkürzung als sich in die Bedürfnisse beider Seiten einzufühlen. Das ist das, was in Menschen lebendig ist. Ein Ansatz Nein zu sagen und gleichzeitig in der Verbundenheit zu bleiben, ist daher, nicht nur das eigene Nein gut zu erklären, sondern sich auch die Zeit zu nehmen, eine andere Strategie im Hier und Jetzt mit dem Anfrager zu entwickeln. Solange gemeinsam einen Weg zu erkunden, wie die dahinterliegende Bedürfnis beider Seiten erfüllt werden können. Immer wieder offen nachfragen, was der andere verstanden hat, wie es ihm damit geht und was er braucht. Hier sind mitunter mehrere Runden zu drehen, die gegenseitigen Bedürfnisse zu spiegeln und eine gemeinsame Synthese zu finden. Diese Aufarbeitung im offenen Dialog kann Zeit benötigen, die nicht immer da ist. Sie hat das potenzial die Verbundenheit trotz des initialen Neins zu stärken.

Auf Ebene der mit der Bitte vorgeschlagenen Strategie gibt es kein Commitment. Das muss aber nicht heißen, dass es keine andere gemeinsam getragene Lösung gibt. So gesehen bleibt es beim autonomen Nein zur anfänglichen Bitte, die nicht für beide Seiten stimmig ist. Aber der Dialog endet immer mit einem Ja zur Verbindung  durch achtsame Anerkennung der Bedürfnisse aller Seiten. Im dialogischen Austausch selbst liegt dann eine neue tiefe Beziehungerfahrung. Statt im Widerstand und In Negativität zum Nein bzw. zur Bitte zu sein, wird kein Leid erschaffen, sondern es entsteht eine höhere warme Herzensenergie, indem beide miteinander mit ihrer Lebendigkeit in Kontakt kommen.

 

9. Umgang mit Blockaden

Gehört zu werden im Anliegen schafft Öffnung auch für Anliegen des anderen. Selbst wenn ich diese Verbundenheit will, sich gegenseitig in seinen Bedürfnissen zu sehen und Lösungen zu finden, ist das nicht immer sofort möglich:

  • Ich bin selbst nicht in meiner Kraft und in der Lage mich auf den Klärungsprozess einzulassen. 

  • Man hat sich in ein Ja-Aber-Gefecht mit Urteilen, Drohung, Schuldvorwürfe und Urteile so- verfahren, dass im Moment nicht auf die Ebene der Bedürfnisse vorzudringen ist. Obwohl im Grunde jeder nur darum kämpft, mit seinen Bedürfnissen gesehen zu werden.
  • Die Beteiligten brauchen Zeit zum Nachspüren, bevor die gemeinsame Lösung sich entwickeln kann.

Bei solchen Blockaden hilft erst einmal der Ausstieg aus der Situation mit ehrlichem Bedauern und Dankbarkeit für die Ehrlichkeit. Für den Moment tritt jeder für sich ein und man lässt die Differenz stehen ohne sie persönlich zu nehmen. Ein Wiederanschließen ist dann leichter zu einem späteren Zeitpunkt aus Distanz zu den kraftraubenden Emotionen möglich. 

Die Aufrichtigkeit des Neins braucht Empathie für beide Seiten. Das gibt die Sicherheit, einander zu hören und anzuerkennen. Dahinter steck eine enorme Kraft der Verbundenheit: Die Bedürfnisse werden ins Leben geholt und schaffen lebendige Beziehungen. In dieser Haltung fließt jedes Einstehen für sich selbst letztlich sogar in eine Vertiefung der authentischen Verbindung zwischen Menschen.

So steht am Ende der Bitte das Danke.

    [1] Ein authentisches Anschauungsbeispiel ist die Milchtütenbitte von Iris und Jürgen. Im langsamen Dialog mit laufender Rückkopplung an die Bedürfnisse beider zeigen sie, wie es gelingt, die eigenen Bedürfnisse und die Reaktanz des anderen darauf anzusprechen und – in der Haltung, gegenseitig verbunden bleiben zu wollen und sich die Zeit zu nehmen- die Beziehung in der Akzeptanz der gegenseitigen lebendigen Bedürfnisse zu vertiefen. Die Kunst ist, keinen Vorwurf zu hören, sondern die Selbstkundgabe.

    [2] Axiom der GFK: Bedürfnisse sind universal gültig, insbesondere unabhängig von Person, Zeit und Ort, sonst sind es Strategien.


     

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