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Feuer an Kings Cross: Sich über Regeln und Prozesse hinwegsetzen

von Nov 15, 2013Impulsgeschichten

Bewährte Routinen, Regeln und Prozesse reduzieren Komplexität und können bequem sein. Indem sie uns von individueller Verantwortung befreien und uns klare Orientierung geben, was im Alltag zu tun ist. Doch je nach Kontext sind Gewohnheiten nicht immer günstig. Außerhalb der Routine bedarf es, sich situativ über Regeln und Prozesse hinweg zu setzen sowie ein System, um im Sinne des Ganzen miteinander zu steuern und Entscheidungen zu treffen.*

Hierarchische Führung und Verantwortungskultur

Es war an einem Abend im November 1987. Philip Brickell verkaufte in London an der U-Bahn Station Kings Cross Fahrkarten. Ein Pendler informierte ihn, dass auf der nahen Rolltreppe ein brennendes Tuch liege. Brickell machte sich sofort auf den Weg und schlug das Feuer mit einer gerollten Zeitschrift aus. Er stelle keine weiteren Nachforschungen an, erzählte niemandem davon und rief nicht die Feuerwehr an. Für den Brandschutz war eine andere Abteilung zuständig. Die Dienstregeln verboten es ihm, ohne direkte Genehmigung eines Vorgesetzten eine andere Abteilung zu beauftragen. 15 Minuten später entdeckte ein anderer Fahrgast Rauch, als er auf der Rolltreppe von Kings Cross hinunterfuhr. Er meldete es einem U-Bahn Mitarbeiter, der auf Geheiß seines Vorgesetzten den Sicherheitsinspektor von Kings Cross verständigte und ihn bat, der Sache nachzugehen.

Der konnte aber keinen Rauch feststellen und rief daher nicht die Feuerwehr. Denn eine weitere ungeschriebene Regel lautete: die Feuerwehr sollte nur benachrichtigt werden, wenn es absolut nötig ist. Ein Polizist bemerkte jedoch den Rauch in Kings Cross selbst. Er verständigte das Präsidium. Da er jedoch unter der Erde keinen Empfang mit seinem Funkgerät hatte, musste er erst die lange Treppe hinauf ins Freie nehmen. Er rief seine Vorgesetzte an, die die Feuerwehr verständigte – 22 Minuten nachdem Brickell auf das Tuch hingewiesen worden war. Vor Jahren war aufgrund eines Brandes in einer anderen Station eine spezielle Sprinkleranlage für die Rolltreppen in Kings Cross installiert worden. Nur wusste keiner der Beschäftigten, wie man die Anlage bedient oder wie man die Feuerlöscher entsichert. 30 Minuten nach der Meldung des brennenden Tuchs traf der erste Feuerwehrtrupp vor Ort ein.

Das Fiasko nimmt seinen Lauf

Inzwischen hatte ein Mitarbeiter die Rolltreppe mit einem Seil gesperrt und die Fahrgäste auf die Treppe umgeleitet. Dennoch fuhren weiter Züge ein. Die Treppe wurde mehr und mehr zum Engpass und die ganze Rolltreppe stand in Flammen. Das Feuer setzte ein überhitztes Gas frei, das in den oberen Teil des Schachts aufstieg und sich unter der Tunneldecke sammelte. Ein paar Jahre früher hatte ein Betriebsleiter darauf hingewiesen, dass die alten Farbschichten an der Tunneldecke eine Brandgefahr darstellten und empfohlen, sie zu entfernen. Aber dafür war die Abteilung für Wartung zuständig. Der Leiter der Wartung bedankte sich für die Empfehlung und verbat sich ansonsten, sich in seine Angelegenheiten einzumischen. Die alte Farbschicht begann nun, die Hitze zu absorbieren. Jeder Zug, der in die Station einfuhr, wirkte zudem wie ein Blasebalg, der frischen Wind in den Rolltreppentunnel fegte.

Drei weitere Minuten nach Eintreffen der Feuerwehr schlug eine Hitzedruckwelle in die Schalterhalle und verbreitete sich wie eine Feuerkugel. Kurz nach der Explosion trafen Dutzende von Löschfahrzeugen ein. Da die Feuerwehr jedoch Anweisung hatte, ihre Schläuche an den Straßenhydranten anzuschließen, anstatt die Hydranten in der Station zu nutzen, vergingen weitere wertvolle Minuten und es dauerte Stunden, bis das Feuer gelöscht war. Als der Brand schließlich 6 Stunden nachdem das brennende Tuch gemeldet worden war, eingedämmt werden konnte, lautete die traurige Opferbilanz: 31 Tote, Dutzende von Verletzten.

Was uns Kings Cross lehren kann

Einzelne Abteilungen funktionieren mit ihren Regeln und Prozessen im Regelbetrieb gut. Die Regeln sind für sich genommen auch sinnvoll. Vor Jahren hatte die U-Bahn z.B. Probleme mit langen Warteschlangen. Mit Anweisung der Bediensteten, die Schalter nicht zu verlassen und sich auf den Verkauf zu konzentrieren, verschwanden die Warteschlagen. Ebenfalls vor einigen Jahren hatte die Feuerwehr kostbare Zeit bei einem anderen Brand verloren, als sie versuchten ihre Schläuche an Hydranten anzuschließen, die sie nicht kannten. Daher die Anweisung nur noch die bekannten Hydranten zu nutzen. Die Routinen schienen also vernünftig für die einzelnen Abteilungen zu sein. Wie sich jedoch bei den Untersuchungen des Falls zeigte, hatte eine  wesentlicher Blick gefehlt: für die Sicherheit der Fahrgäste war letztlich niemand verantwortlich – kein Beauftragter, keine Abteilung, kein Leiter.

Was, wenn Sie Ihre Klinik mit ihren konditionierten Strukturen und Gewohnheiten aus dem Blickwinkel des einzelnen Patienten, seiner Sicherheit und Genesung, betrachten? Wo stehen „ungeschriebene Gesetze“, Hierarchie- und Abteilungsdenken etc. der Verantwortungsübernahme des Einzelnen im Ernstfall entgegen?

 

[*] Vgl. Duhigg, Charles (2012): Die Macht der Gewohnheit – Warum wir tun, was wir tun, Bloomsbury Verlag GmbH Berlin, S. 210-220.


 

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