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Die alte Dame und der Taxifahrer: Zeit und Achtsamkeit

von Feb 23, 2013Impulsgeschichten

Nehmen Sie sich Zeit für eine alte Dame und die Geschichte des Taxifahrer. Eine Erfahrung über Zeit, Geduld und den Zauber im Moment .*

Ich wurde als Taxifahrer zur Adresse einer alten Dame bestellt und wie gewöhnlich hupte ich als ich ankam. Doch kein Fahrgast erschien. Ich hupte erneut. Nichts. Noch einmal. Nichts. Meine Schicht war fast zu Ende, es sollte meine letzte Fahrt für den Tag sein. Es wäre leicht gewesen, einfach wieder wegzufahren. Ich entschied mich aber dagegen, parkte den Wagen und ging zur Haustür. Kaum hatte ich geklopft, hörte ich eine wirklich alte Dame mit gebrechlicher Stimme sagen “Bitte, einen Moment noch!”.

Durch die Tür hörte ich, dass die alte Dame offensichtlich etwas über den Hausboden schleifte. Es verging eine Weile, bis sich endlich die Tür öffnete. Vor mir stand eine kleine wirklich alte Dame, bestimmt 90 Jahre alt. Sie trug ein mit Blümchen bedrucktes Kleid und einen dieser Pillbox Hüte mit Schleier, die man früher getragen hat. Ihre gesamte Erscheinung sah so aus, als wäre sie aus einem Film der 1940-er Jahre. Da die Tür offen war, konnte ich nun auch in die Wohnung schauen. Die Wohnung sah aus, als hätte hier über Jahre niemand mehr gelebt. Kein Nippes. Alle Möbel waren mit Tüchern abgedeckt. Die Wände waren leer, die Wohnung war fast komplett leer.

Der Umzug

“Bitte, junger Mann, tragen sie mir meinen Koffer zum Wagen?” bat sie und deutete auf einen kleinen Koffer neben der Tür. Ich nahm den Koffer und packte ihn in den Kofferraum. Dann ging ich zurück zur alten Dame, um ihr beim Gang zum Auto ein wenig zu helfen. Sie nahm meinen Arm und wir gingen gemeinsam zu meinem Taxi. Sie bedankte sich für meine Hilfe. Es sei nicht der Rede wert, antwortete ich ihr. Ich behandele meine Fahrgäste schlicht genauso, wie ich auch meine Mutter behandeln würde! “Oh, sie sind wirklich ein vorbildlicher junger Mann.” erwiderte sie.

Als die Dame in meinem Taxi Platz genommen hatte, gab sie mir die Adresse, gefolgt von der Frage, ob wir durch die Innenstadt fahren könnten.
“Nun, das ist aber nicht der kürzeste Weg, eigentlich sogar ein erheblicher Umweg.” gab ich zu bedenken.
“Oh, ich habe nichts dagegen”, sagte sie. “Ich bin nicht in Eile. Ich bin auf dem Weg in ein Hospiz.”

“Ein Hospiz?” schoss es mir durch den Kopf. Dort werden doch sterbenskranke Menschen versorgt und beim Sterben begleitet. Ich schaute in den Rückspiegel und betrachtete die alte Dame noch einmal.
“Ich hinterlasse keine Familie” fuhr sie mit sanfter Stimme fort. “Der Arzt sagt, ich habe nicht mehr sehr lange zu leben.”

Ich schaltete das Taxameter aus. “Welchen Weg soll ich nehmen?” fragte ich. Und dann fuhr ich mit der alten Dame für die nächsten zwei Stunden einfach durch die Stadt. Sie zeigte mir das Hotel, in dem sie einst an der Rezeption gearbeitet hatte. Wir fuhren zu den unterschiedlichsten Orten. Sie zeigte das Haus, in dem sie und ihr verstorbener Mann gelebt hatten, als sie noch “ein junges, wildes Paar” waren. Sie zeigte mir ein neues Möbelhaus, das früher “ein angesagter Schuppen” zum Tanzen war. Als junges Mädchen habe die alte Dame dort oft das Tanzbein geschwungen.

An manchen Gebäuden und Straßen bat sie mich besonders langsam zu fahren. Sie sagte dann nichts. Sie schaute dann einfach nur aus dem Fenster und schien mit ihren Gedanken noch einmal auf eine Reise zu gehen. 

Die letzten Meter

“Ich bin müde” sagte die alte Dame plötzlich. “Jetzt können wir zu meinem Ziel fahren.” Schweigend fuhren wir zu der Adresse, die sie mir vor ein paar Stunden gegeben hatte. Das Hospiz hatte ich mir viel größer vorgestellt. Mit seiner Mini-Einfahrt wirkte es eher wie ein kleines freundliches Ferienhaus. Es stürmten jedoch sofort zwei Pfleger aus dem Haus, die – kaum hatte ich den Wagen angehalten – die Fahrgasttüre öffneten. Sie schienen besorgt. Sie mussten schon sehr lange auf die alte Dame gewartet haben. Und während die alte Dame im Rollstuhl Platz nahm, trug ich ihren Koffer zum Eingang des Hospiz. “Wie viel bekommen sie von mir für die Fahrt?” fragte sie, während sie in ihrer Handtasche kramte. “Nichts” sagte ich. “Aber Sie müssen doch als Taxifahrer ihren Lebensunterhalt verdienen“, widersprach sie. “Es gibt noch andere Passagiere” erwiderte ich mit einem Lächeln.

Und ohne lange drüber nachzudenken, umarmte ich die alte Dame. Sie hielt mich an sich. “Sie haben einer alten Frau auf ihren letzten Metern noch ein klein wenig Freude und Glück geschenkt. Danke!” sagte sie mit glasigen Augen zu mir. Ich drückte ihre Hand und ging bewegt. Hinter mir schloss sich die Tür des Hospiz. Es klang für mich wie der Abschluss eines Lebens. Ich fuhr einfach ziellos durch die Straßen – ohne Fahrgäste, versunken in meinen Gedanken. Ich wollte weder reden, noch jemanden sehen. Was wäre gewesen, wenn die Frau an einen unfreundlichen und mies gelaunten Taxifahrer geraten wäre, der nur schnell seine Schicht hätte beenden wollen? Was wäre, wenn ich die Fahrt nicht angenommen hätte? Was, wenn ich nach dem ersten Hupen einfach weggefahren wäre? Wenn ich an diese Fahrt zurück denke, weiß ich, dass ich noch niemals etwas Wichtigeres im Leben getan habe.

Die alte Dame und der Taxifahrer berührt.

Die Qualität unseres Lebens bestimmt sich aus der Kette jedes einzelnen gelebten Moment. Zeit und Achtsamkeit im Augenblick im hier und Jetzt. In unserem hektischen Leben mit dem ganzen Gehupe, haben wir nie Zeit und legen Wert auf große bombastischen Ereignisse. Dabei sind es ein kleiner Moment, eine kleine Geste, die die Kraft hat, uns tief im Inneren zu berühren – wenn wir es nur zulassen. Wir sollten uns immer wieder in Entschleunigung und Geduld üben – und nicht sofort hupen – dann erleben wir diese Kairos-Momente auch wieder. Wie sieben Passanten in Washington DC, die Joshua Bells Geigenspiel in der U-Bahn-Station lauschten…

[*] Übersetzt aus dem Englischen von Markus Brandl.

Es gilt, nicht der Gefahr des Ja-Aber-Spiels und damit dem Austausch von Argumenten zu verfallen, wenn man die Bedürfnisse auf den Tisch bringen will. Sondern selbst geklärt, die eignen Bedürfnisse einen Moment hinten anzustellen und die Bedürfnisse des andern empathisch in den Blick zu nehmen. Um sich aufrichtig mitteilen zu können, ist zunächst Empathie für die Bitte zu geben. So dass der Bittende die Sicherheit bekommt, gesehen und gehört zu werden. Zu zeigen, dass man die Bitte gehört hat und welche empathische Vermutung zum Wozu – als Frage oder Konjunktiv formuliert – man dazu hat.

 

7. Niemand kann Empathie geben, bevor er nicht selbst Empathie bekommen hat

Eine konkrete Bitte ist eine Strategie, die zunächst die Bedürfnisse des Fragenden in den Blick nimmt. In der GFK ist die Bitte nur verstehbar, wenn sie in Zusammenhang mit den dahinter stehenden Gefühlen und Bedürfnissen geäußert wird. Wer eine Bitte äußert will etwas ändern. Die Gewaltfreie Kommunikation kennt unterschiedliche Arten von Bitten auf Ebene der Strategie. Ihr Fokus liegt dabei darauf, in Verbundenheit miteinander zu sein.

  • Handlungsbitten: sind Bitten um eine bestimmte Handlung oder um ein inhaltliches Feedback (oft um zu schnellen Lösungen zu kommen)

  • Beziehungsbitten: sind Bitten um eine einfühlsame Reaktion, um eine Mitteilung, was beim anderen angekommen ist oder wie es ihm damit geht, was er dabei empfindet. Es geht dabei als darum, dem Fühlen Raum zu geben.

Es git zunächst, das Bedürfnis des Bittenden hinter seiner Bitte genauer zu ergründen. Emphatische Vermutungen dürfen dabei nicht auf Gedanken abstellen, sondern das Fühlen adressieren. Schnell werden im Eifer des Gefechtes Gefühle mit Gedanken oder gar Vorwürfen verwechselt. Das aber zerstört jeden Kooperationswillen. Selbst wenn eine Handlungsbitte geäußert wurde, kann es sein, dass der Anfrager das Nein nicht in der Sache, sondern (1.) auf der persönlichen Ebene hört, als Absage an die Beziehung. Und dass er (2.) so in seine Bedürfnisse verstrickt ist, dass er kein Ohr für die Antwort hat und ein Nein (noch) nicht empathisch hören kann. Dann war die Fähigkeit offen mit einer Antwort umgehen zu können, nicht gegeben.

Eine echte Bitte im Dialog muss mit einer offenen Entscheidung – ja oder nein – umgehen können, sonst ist es keine. Dann braucht der Antwortende nicht mit einem Nein und seinen Bedürfnissen anfangen. Vielmehr gilt es nun erst einmal, um die Beziehung zu halten, die eigenen Bedürfnisse einen Moment zu parken und die Bedürfnisse hinter der Bitte in den Blick zu nehmen. Der Bittende braucht so lange Einfühlung, bis er sich entspannt hat. Die Zeit zum Nachspürenlassen, ob es im Hier und Jetzt gut ist, Zuhören, Raum halten. Wenn der Bittende in seinen Konflikt nicht so reflektiert ist, sich selbst Einfühlung zu geben, braucht er die Empathie des Zuhörers.  Sich auf der Ebene seiner Bedürfnisse gehört zu fühlen, lässt spüren, dass ich dem anderen wichtig bin. Menschen sind oft erst in der Lage, empathisch auf die Bedürfnisse anderer zu reagieren, wenn sie selbst Empathie bekommen haben.

 

8. Empathisch Zuhören bevor man sich aufrichtig mitteilen kann

Marshall B. Rosenberg erkannte: „Empathisch mit dem Nein des anderen zu sein, schützt uns davor, es persönlich zu nehmen.“ 

In der GFK gibt es keine Abkürzung als sich in die Bedürfnisse beider Seiten einzufühlen. Das ist das, was in Menschen lebendig ist. Ein Ansatz Nein zu sagen und gleichzeitig in der Verbundenheit zu bleiben, ist daher, nicht nur das eigene Nein gut zu erklären, sondern sich auch die Zeit zu nehmen, eine andere Strategie im Hier und Jetzt mit dem Anfrager zu entwickeln. Solange gemeinsam einen Weg zu erkunden, wie die dahinterliegende Bedürfnis beider Seiten erfüllt werden können. Immer wieder offen nachfragen, was der andere verstanden hat, wie es ihm damit geht und was er braucht. Hier sind mitunter mehrere Runden zu drehen, die gegenseitigen Bedürfnisse zu spiegeln und eine gemeinsame Synthese zu finden. Diese Aufarbeitung im offenen Dialog kann Zeit benötigen, die nicht immer da ist. Sie hat das potenzial die Verbundenheit trotz des initialen Neins zu stärken.

Auf Ebene der mit der Bitte vorgeschlagenen Strategie gibt es kein Commitment. Das muss aber nicht heißen, dass es keine andere gemeinsam getragene Lösung gibt. So gesehen bleibt es beim autonomen Nein zur anfänglichen Bitte, die nicht für beide Seiten stimmig ist. Aber der Dialog endet immer mit einem Ja zur Verbindung  durch achtsame Anerkennung der Bedürfnisse aller Seiten. Im dialogischen Austausch selbst liegt dann eine neue tiefe Beziehungerfahrung. Statt im Widerstand und In Negativität zum Nein bzw. zur Bitte zu sein, wird kein Leid erschaffen, sondern es entsteht eine höhere warme Herzensenergie, indem beide miteinander mit ihrer Lebendigkeit in Kontakt kommen.

 

9. Umgang mit Blockaden

Gehört zu werden im Anliegen schafft Öffnung auch für Anliegen des anderen. Selbst wenn ich diese Verbundenheit will, sich gegenseitig in seinen Bedürfnissen zu sehen und Lösungen zu finden, ist das nicht immer sofort möglich:

  • Ich bin selbst nicht in meiner Kraft und in der Lage mich auf den Klärungsprozess einzulassen. 

  • Man hat sich in ein Ja-Aber-Gefecht mit Urteilen, Drohung, Schuldvorwürfe und Urteile so- verfahren, dass im Moment nicht auf die Ebene der Bedürfnisse vorzudringen ist. Obwohl im Grunde jeder nur darum kämpft, mit seinen Bedürfnissen gesehen zu werden.
  • Die Beteiligten brauchen Zeit zum Nachspüren, bevor die gemeinsame Lösung sich entwickeln kann.

Bei solchen Blockaden hilft erst einmal der Ausstieg aus der Situation mit ehrlichem Bedauern und Dankbarkeit für die Ehrlichkeit. Für den Moment tritt jeder für sich ein und man lässt die Differenz stehen ohne sie persönlich zu nehmen. Ein Wiederanschließen ist dann leichter zu einem späteren Zeitpunkt aus Distanz zu den kraftraubenden Emotionen möglich. 

Die Aufrichtigkeit des Neins braucht Empathie für beide Seiten. Das gibt die Sicherheit, einander zu hören und anzuerkennen. Dahinter steck eine enorme Kraft der Verbundenheit: Die Bedürfnisse werden ins Leben geholt und schaffen lebendige Beziehungen. In dieser Haltung fließt jedes Einstehen für sich selbst letztlich sogar in eine Vertiefung der authentischen Verbindung zwischen Menschen.

So steht am Ende der Bitte das Danke.

    [1] Ein authentisches Anschauungsbeispiel ist die Milchtütenbitte von Iris und Jürgen. Im langsamen Dialog mit laufender Rückkopplung an die Bedürfnisse beider zeigen sie, wie es gelingt, die eigenen Bedürfnisse und die Reaktanz des anderen darauf anzusprechen und – in der Haltung, gegenseitig verbunden bleiben zu wollen und sich die Zeit zu nehmen- die Beziehung in der Akzeptanz der gegenseitigen lebendigen Bedürfnisse zu vertiefen. Die Kunst ist, keinen Vorwurf zu hören, sondern die Selbstkundgabe.

    [2] Axiom der GFK: Bedürfnisse sind universal gültig, insbesondere unabhängig von Person, Zeit und Ort, sonst sind es Strategien.


     

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