Die New York Times berichtete 2011 von einer Begebenheit unter dem „The Tire Iron and the Tamale“.* Wo Geben und Nehmen in Dankbarkeit eins werden, geschehen Begegnungen aus offenem Herzen und Beziehung. Das ist im Alltag weniger die eine “große Tat” als die Achtsamkeit für die Bedürfnisse des Gegenübers jetzt im Moment, und wenn es gerade der Wagenheber ist.
Wagenheber
Im letzten Jahr bin ich 3x mit dem Auto auf der Autobahn liegen geblieben: ein leerer Tank, eine durchgebrannte Sicherung, eine Reifenpanne. Immer, wenn ich mit Autos von Freunden unterwegs war. Das hat es für mich noch unangenehmer gemacht. In allen Fällen stand ich am Rand der Fahrbahn und war empört, dass ein Auto nach dem anderen an mir vorbeifuhr, ohne mir zu helfen. Wo war das Mitgefühl der Menschen? Selbst zwei Abschleppwagen fuhren einfach vorbei. Am Ende hat nach einer gefühlten Ewigkeit jedes Mal doch noch ein Auto gehalten. Bei der Reifenpanne hatte ich fast drei Stunden am Seitenrand gestanden. In meiner Verzweiflung hatte ich ein Schild gemalt, um um einen Wagenheber zu bitten. Gerade als ich aufgeben und versuchen wollte per Anhalter weiterzukommen, hielt ein Wagen. Ein mexikanischer Immigrant stieg aus, gefolgt von seiner gesamten Familie im Schlepptau.
Er sprach fast kein Wort unserer Sprache. So erklärte seine Tochter in rudimentärem Englisch, dass ihr Vater einen Wagenheber hätte, der aber zu klein für meinen Jeep wäre und verstärkt werden müsste. Er verlängerte den Wagenheber mit Holz vom Wegesrand und gemeinsam versuchten wir, den kaputten Reifen zu lösen. Ich zog kräftig, doch statt des gelösten Reifens hatte ich bald zwei Teile des Wagenhebers in der Hand. Er war zerbrochen. Wie unangenehm. Dem Mann schien es nichts auszumachen. Er brachte den kaputten Wagenheber zu seiner Frau, gab ihr Instruktionen und sie brauste mit dem Auto davon – um nach einiger Zeit mit einem neu gekauften großen Wagenheber zurück zu kommen. Nach einiger gemeinsamer Anstrengung bekamen wir damit schließlich den Reifen gelockert und den Ersatzreifen montiert. Verschwitzt und mit schwarzen Händen gratulierten wir uns zu dem Erfolg.
Tamale
Die Frau holte einen großen Krug Wasser und wir konnten uns die Hände waschen. Ich versuchte dem Mann 20 Dollar zu geben, doch er lehnte ab. So steckte ich den Schein der Frau zu. Ich fragte die Tochter, wo sie wohnten – ich dachte daran, ihnen ein Geschenk zum Dank für ihre Unterstützung zu schicken. Sie sagte mir, sie wohnten in Mexiko und wären hier, um die nächsten Wochen bei der Obsternte zu helfen. Ich verabschiedete mich und ging zurück zum Jeep, als mir das Mädchen nachrief, ob ich denn schon gegessen hätte. Als ich verneinte, kam sie mit einer Portion Tamale. Diese Familie war ganz sicher ärmer als jeder andere, der auf der Autobahn unterwegs war. Sie arbeite als Erntehelfer und für sie galt „Zeit ist Geld“. Diese Familie nahm sich Stunden Zeit, um einem Fremden zu helfen. Wo nicht einmal ein Abschlepper gehalten hatte. Und sie versorgten mich noch mit ihrem Tamale.
Als ich im Auto das Tamale gleich auspackte, fand ich meine 20 Dollar in der Folie. Ich stieg aus und rannte zurück und hielt dem Mann das Geld hin. Er schüttelte den Kopf und sagte mit einem Lächeln auf Englisch: „Heute du, morgen ich“. Dann fuhr er los. Ich saß noch eine Weile im Auto und aß das beste Tamale meines Lebens, platt vor Rührung. Es war ein hartes Jahr gewesen und nichts schien für mich gut zu laufen. Das, was gerade passiert war, war so außergewöhnlich… Die letzten Monate seit diesem Ereignis habe ich selbst ein paar Reifen gewechselt, ein paar Menschen mit zur Tankstelle genommen und bin sogar einmal 50 Meilen Umweg gefahren, um ein Mädchen zum Flughafen zu bringen. Ich nahm kein Geld dafür an. Doch jedes Mal, wenn ich helfen konnte, fühlte ich mich, als hätte ich etwas auf einer Bank eingezahlt…
Beziehung
Trainer benutzen gerne die Metapher des Beziehungskontos. Wie ein Bankkonto misst es den Umsatz an Geben und Nehmen in der Beziehung. Bei der ersten Begegnung wird es sozusagen eröffnet. Beziehungen sind umso intensiver, je höher der Umsatz ist, wie sich Menschen gegenseitig ihre Bedürfnisse erfüllen. Ist das Konto im Überschuss hält die Beziehung auch einmal Phase aus, in der eine Seite nur abhebt. Daher ist es wichtig, in guten Phasen immer wieder bewusst Einzahlungen auf die Beziehungen zu machen. Der Mann mit den drei Verkehrspannen hat sein Glückskonto von der mexikanischen Familie so reich aufgeladen bekommen, dass er Auszahlungen an eine Vielzahl von fremden Menschen machte, um sein Glück zu teilen und es so zu vermehren… Und wenn wir uns fragen, was die Währung ist, mit der wir auf das Beziehungskonto einzahlen, so dass der andere Glück empfindet, dann landen wir schnell bei Fürsorge und Liebe …
[*] Frei übersetzt nach Justin Horner „The Tire Iron and the Tamale“ zu lesen auf reddit.com.