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Frankl, Viktor E. (1. Aufl. 1946)

von Sep 7, 2022Buchtipps

Viktor Frankl: trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, Penguin Verlag, München, Taschenbuch Neuausgabe 2018

Im September 2022 jährt sich der Todestag von Viktor E. Frankl zum 25. Mal. Für sein Lebenswerk wurden Frankl alleine 27 Ehrendoktorwürden verliehen. Frankl überlebte den Holocaust und schrieb 1946 in nur wenigen Wochen seinen berührenden Klassiker „…trotzdem Ja zum Leben sagen“, der später weltweit über 12 Millionen Mal verkauft wurde. Karl Jaspers nannte das Werk „eines der großen Bücher der Menschheit“. Bis zu seinem Tod 1997 lebte und arbeitete Frankl für seine Lehre vom Sinn, den er als Logos bezeichnete. Aus der Existenzanalyse als Theorie zur Sinnfindung ging die Logotherapie als Behandlung hervor. Diese gilt neben Sigmund Freuds und Alfred Adlers als „Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“.

Sinn kann nur selbst gefunden werden

Viktor Frankl ging es weniger um den Sinn des Lebens an sich. Sondern um den situativ konkreten Sinn, den das Leben einem Menschen in jeder Situation anbietet. Für ihn gibt es keine Situation ohne Sinnmöglichkeit (wie für ihn auch das Leben jeder Person einen je einzigartigen Sinn bereithält). Der Blick auf den Sinn bekommt von Frankl so neue Wendung: Das Leben stellt dem Menschen Fragen. Mehr als zu fragen sei der Mensch angefragt und dem Leben zu antworten. D.h. das Leben zu verantworten durch sein Handeln und Verhalten. Selbst unter inhumansten Bedingungen. Das Bewusstsein dafür helfe, äußere und innere Not zu bewältigen. Doch auf den Sinn müsse jeder Mensch alleine kommen. Er könne von niemandem sonst gegeben oder erzeugt werden. 

Autobiografische Erlebnisse als KZ-Überlebender

Der Buchtitel ist ein Zitat aus dem Refrain des Buchenwaldliedes des KZ-Häftlings Fritz Löhner-Beda. Die Lagerhymne war im KZ Buchenwald 1938-1942 Standard beim täglichen Appell und beim Ein- und Auszug der Arbeitskolonnen. Viele Häftlinge sangen es zur Selbstvergewisserung immer wieder. Besonders der letzte Vers des Refrains „… wir wollen trotzdem ja zum Leben sagen, denn einmal kommt der Tag: Dann sind wir frei!“ gab ihnen mit der Vision eines Lebens in Freiheit Mut und Kraft. Viktor Frankl beschreibt in dem Werk seine Inhaftierungen in den KZs Theresienstadt, Ausschwitz, Türkheim und im Außenlager Kaufering. So als nehme er den Leser an die Hand und führt er durch die Schauplätze. Dazu schildert er die Gefühlswelten und Handlungen der Menschen ohne Gut und Böse zu bewerten.

Sein Wozu finden

Die seelischen Reaktionen der Häftlinge auf die Extreme des Lagers hat Frankl in drei Phasen eingeteilt: vom Ankommen im Lager, über die Zeit im KZ bis zur Entlassung. Die erste Phase beschreibt Ankunft und Aufnahme im Lager mit der ersten Selektion, die Desinfektion und die Reaktionen darauf. Bald wich der Schock dem Erkennen der Ausweglosigkeit gegenüber dem allgegenwärtigen Tod. Die Hoffnung auf Rettung ging verloren. Der Gedanke an Selbstmord kam auf. Die zweite Phase des Lagerlebens führte wegen körperlicher und seelischer Qualen, Zwangsarbeit, Hunger, Misshandlungen, Erniedrigung, Grausamkeit, Folter und den rohen Morden bei den Häftlingen zu Apathie, Abstumpfung und Gleichgültigkeit. Leid und Tod von Mitgefangenen lösten bald kaum noch Gefühle aus.

Die Gedanken der Häftlinge kreisten um die Frage: Werden wir das Lager überleben? Wenn nicht, dann hätte das lange Leiden keinen Sinn. Zentrale Erfahrung im KZ war für Frankl, dass es trotz allem möglich ist, seinen Sinn im Leben zu bewahren. So beschreibt er, dass die Häftlinge bessere Chancen zum Überleben hatten, die jemanden hatten, der auf sie wartet: Familie, Partner, Kinder oder eine wichtige Aufgabe. Ein Sinn oder Ziel gab die Kraft zum Weiterleben. Ansonsten schwand der Wille zum Überleben. Frankl selbst half die Vorstellung wie er in Zukunft Vorlesungen über die Auswirkungen des Lagers auf die Psyche halten wird. Zur Selbstaufrichtung musste es gelingen, sich auf ein Ziel in der Zukunft hin zu orientierten, frei nach Friedrich Nietzsche: Wer ein Wozu im Leben hat, erträgt fast jedes Wie.

Sinn von Leiden und Tod finden

Wer den Lebenszweck verlor, dem schwand der Sinn des Daseins und Durchhaltens. Der verlor den Halt und ließ sich alsbald fallen. Doch welchen Sinn kann man solchem Leid abgewinnen? Auch darauf fand Frankl Antwort: Wenn das Schicksal dem Menschen ein Leid auferlegt, wird er darin seine Aufgabe sehen müssen. Der Mensch muss sich auch dem Leid gegenüber bewusst werden, damit einmalig und einzigartig dazustehen. Niemand kann es ihm abnehmen und für ihn durchleiden. Er kann sich entscheiden, wie er sein Leid trägt. Im KZ waren solche Gedanken das einzige, was helfen konnte und nicht verzweifeln ließ, wenn die Hoffnung schwand, lebend davonzukommen. Hier ging es nicht mehr um die Frage nach dem Sinn des Lebens in der Verwirklichung von Zielen. Hier ging es um den Sinn des Lebens in seiner Totalität – um den Sinn von Leiden und Sterben.

Die dritte Phase beschreibt die Zeit nach der Befreiung des Lagers. Sie war für die Häftlinge wie irreal. Über die jahrelang ersehnte Freiheit konnten sie sich nicht mehr freuen. Sie kamen nicht mit ihr zurecht. Dies führte zur Depersonalisation, einer dissoziativen Störung mit dem Erleben, außerhalb des eigenen Körpers zu stehen und dem Gefühl, das eigene Leben wie von außen zu beobachten. Nach der seelischen Folter des Lagers war es nach der Befreiung nicht einfach, seinen n Seelenfrieden wiederzufinden.

Versöhnung und Sinn im Füreinander finden

„Viktor Frankl hat gelebt, was er lehrt“, schreibt Hans Weigel im Vorwort. Er kam aus der Hölle zurück nach Wien. Er hatte alles verloren. Doch war er frei von allen Impulsen der Rache und Vergeltung. Das konnten nicht viele. Er lehnte als jüdischer KZ-Überlebender eine Kollektivschuld ab und betonte immer wieder die positiven Ausnahmen von der Unmenschlichkeit. Er sah auch das Gute und überwand dadurch das Vielfache an Bösem. Welcher KZ-Überlebende wusste nicht von Menschen zu erzählen, die in den Baracken des Lagers hier ein gutes Wort oder dort den letzten Bissen Brot gaben? Und mögen es nur wenige gewesen sein – sie beweisen, dass man dem Menschen alles nehmen kann, nur nicht die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so zu verhalten. 

Als Denker des 21. Jahrhunderts formuliert Viktor Frankl mit dieser Lebenserfahrung, dass Sinn nur außerhalb des eigenen Ichs gefunden werden kann. Dort, wo er über das Ego hinausweist: selbsttranszendent im Dienst einer Aufgabe, eines Werkes oder in der Liebe zu einer Person. Es geht dem Menschen nicht darum, dass es ihm gut geht. Sondern, dass er für etwas gut ist. Dann geht es ihm auch gut. Im Streben nach äußerem Glück und Selbstverwirklichung um seiner selbst willen scheitere man seelisch – etwa in egoistischer Befriedigung von eigenen Bedürfnissen, Macht, Erfolg und Ruhm. In dem Maße, in dem der Mensch Sinn erfüllt, stelle sich Selbstverwirklichung wie von selbst ein. Als eine Wirkung der Sinnerfüllung, nicht als deren Zweck. So kann der Mensch auf paradoxe Weise ganz er selbst werden, indem er sich selbst ganz vergisst und aus sich heraustritt.

Tiefes Sinnbedürfnis auch des heutigen Menschen

Die Erfahrung von tiefer Sinnleere ist nicht nur eine alte Geschichte, sondern gerade auch ein existenzielles Vakuum moderner Menschen. Wie alle KZ-Häftlinge musste Frankl den Nihilismus absoluter Sinnlosigkeit überwinden. Er findet den Weg im Bewusstsein, dass immer dieser Rest an geistiger menschlicher Freiheit bleibt, die man Menschen nicht nehmen kann. Dieses kleine humane Potenzial ist es, was uns zu Menschen macht: Die Freiheit sich zu den Verhältnissen so oder so einzustellen. Diese Wahl in der jeweiligen situativen Entscheidung führe zur Sinnfrage. Gerade das Leiden an Sinnleere mache das Sein durchsichtig, denn es offenbare, dass es zum Wesen des Menschen gehöre, als ein Leidender vor die Wahrheit seines Daseins gestellt zu werden. Um dem Leid Sinn abzugewinnen, muss um ein Etwas oder Jemanden gelitten werden und Leiden nicht den Zweck in sich selbst haben.

Um seine Haltung und festen Stand in sich zu finden, hilft das Gewissen. Moralisch gut ist das, was seinen guten Sinn erfüllt. Sittlich schlecht ist die Tat, die Gutes hemmt. So existentialisiert Frankl die Moral, indem die Antwort auf die Sinnfrage mit der ganzen Existenz gegeben wird. Gott als letzten Sinn des menschlichen Lebens zu erkennen, der menschlichen Existenz mit allem Bezügen sinnvoll macht, ist der Sprung von der Psychologie in die Theologie als Sinnquelle. Dieser Sprung gibt Aufschluss über die Haltung von Viktor Frankl als tiefgläubigen Menschen, der zeitlebens jeden Dogmatismus in Staat und Religion ablehnt. 

„Trotzdem Ja zum Leben sagen“ ist ein Zeitzeugnis und Schlüssel zum Verständnis Viktor Frankls. Durch sein Lebenszeugnis vermag es, Selbstaufrichtung gegen alle Hoffnungs- und Sinnleere zu setzen und den Fokus auf das je einzigartige Wofür zu richten.

Viktor Frankl: trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, Penguin Verlag, München, Taschenbuch Neuausgabe 2018.


 

Buchtipp – für noch mehr Inspiration

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