Das Macht Paradox. Wie wir Einfluss gewinnen – oder verlieren. Campus Verlag, Frankfurt.
Der amerikanische Psychologe Dacher Keltner, Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley, beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Frage: Was ist Macht? Das Macht Paradox ist die Zusammenfassung seiner Studien zu diesem Thema.
Seiner Forschung nach ist das Verständnis von Macht in unserer Kultur tief und nachhaltig vom Florentiner Nicolò Machiavelli geprägt. Machiavelli verfasste 1513, in gewaltbereiten Zeiten, in denen Mord, Vergewaltigungen, Folter, Verletzung von Menschenrechten meist unreguliert blieben, ein Buch mit dem Titel „Il Principe – der Fürst“. Darin argumentiert Marchiavelli, dass Macht im Wesen mit Stärke und Unbarmherzigkeit, Betrug und Täuschung, Zwang und Gewalt zu tun hat. In der Folge gibt es wohl keinen Diktator, der das Buch nicht gelesen hat. Es setzte sich ein Verständnis von Macht durch, das die Ausübung von Macht mit Dominanz, Zwang sowie körperlicher und seelischer Gewalt gleichsetzt.
Keltner meint, dass sich dieses Bild der Macht nicht halten lässt. Ihm stehen viele wichtige Entwicklungen in der Geschichte der Menschheit entgegen: Die Abschaffung der Sklaverei, der Sturz von Diktatoren, das Ende der Apartheid, den Aufstieg der Bürgerrechte usw. Menschen greifen v.a. dann auf Gewalt, Lügen, Manipulation, Nach-unten-Treten etc. zurück, wenn ihre Macht bereits im Schwinden ist. Für Keltner ist die Gleichsetzung von Macht mit Gewalt und raffinierter Manipulation einer der Gründe, dass wir blind dafür sind, wie sehr eine konstruktive Form von Macht, von Einfluss, in unserem Alltag verbreitet ist und unser Miteinander bestimmt.
Keltner definiert spannende Leitsätze dazu: Macht ist…
- … wertneutral die Fähigkeit, etwas in der Welt zu verändern, z.B. indem wir andere in unseren sozialen Netzen aufrütteln.
- … eine alltägliche kommunikative Fähigkeit, Dinge zu bewegen.
- … das Mittel, durch das wir uns aufeinander beziehen.
- … die Welt zu gestalten, indem wir andere beeinflussen.
- …entgegen der alten machiavellischen Philosophie nicht zu ergreifen, sondern wird uns auf Zeit von anderen verliehen.
- … nicht nur, andere beeinflussen zu können. Sie prägt auch das eigene Selbstbewusstsein.
Evolutionär habe uns das Zusammenleben in Gruppen zu sozialen Wesen gemacht, die sich gegenseitig stützen. Hierarchie steht für Stabilität und den Schutz von Bedürfnissen von Minderheiten. Wer dem Gemeinwohl dient, erntet dafür soziale Anerkennung – nicht der machtbesessene, Gewalt ausübende Machiavellist. Doch das Gedankenkonstrukt des wohlwollenden Diktators bzw. vertikale Hierarchien nach dem Vorbild des Militärs wollen heute durch horizontalere Muster in sozialen Organisationen ersetzt werden.
Knackpunkt ist – wie bereits in der Bedürfnispyramide von Maslow herausgestellt – dass Menschen sich intrinsisch nach Macht, Ruhm und Ansehen durch die Anderen sehnen. Dass sie ein grundlegende Sehnsucht in sich tragen, auf der Welt etwas zu bewirken und zu verändern. Ein Gefühl von Macht, etwas bewirken zu können, löst einen Dopamin Rausch aus, weckt Freude, Vertrauen und Sinn. Macht wird als eine lebendige Kraft erfahren. An dem Punkt, an dem Sie Macht erhalten, stellt sich die Frage, was Sie damit anfangen und in der Folge, ob Sie sie wieder verlieren. Im Moment dieser Entscheidung zeigt sich das Macht Paradox:
„Wenn unsere Macht und unser Einfluss zunehmen, versuchen wir, mit dem, was unsere menschliche Natur zu bieten hat, etwas zu bewirken und etwas in der Welt zu verändern. Die Fähigkeit, etwas zu bewirken, drückt sich darin aus, dass wir das Leben von anderen verändern. Doch diese Macht verlieren wir dadurch wieder, wenn wir uns in einer paradoxen Wende verleiten lassen, Macht und Privilegien gegen die Bedürfnisse anderer zu missbrauchen. In dunklen Momenten ähnelt unser Verhalten dem eines aus Kontrolle geratenen Soziopathen.” (Keltner, S. 8).
Missbrauch von Macht und Egozentrierung ist nicht unvermeidlich und nicht Teil der menschlichen Natur. Der Mensch verfolgt dann egoistischen Interessen, verliert seine Empathie und Moral im Handeln, entwickelt ein Heldenethos und Respektlosigkeit gegenüber anderen. Machtmissbrauch führt so am Ende zum Verlust der Macht. Laut Keltner bestimmt, wie wir uns in einem solchen Moment entscheiden, unsere Macht einzusetzen, über unser Glück und das der Menschen für die wir sorgen. In 5 Kapiteln zeigt Keltner, wie Macht und das Paradoxon funktioniert und wie der Mensch es bewusst überwinden kann:
- Macht auszuüben bedeutet, etwas in der Welt zu verändern.
- Macht wird verliehen, man kann sie nicht ergreifen.
- Der Fokus auf die Anderen schenkt dauerhafte Macht.
- Macht verführt zu Machtmissbrauch.
- Der Preis der Machtlosigkeit.
Wer sich auf Dauer als ohnmächtig und fremdgesteuert wahrnimmt, lebt auf hohem Angst- und Stresspegel, der wiederum offenes Denken und Reflexion beeinträchtigt. Selbstbewusstsein, Hoffnung, Engagement und auch Gesundheit schwinden. Dem setzt Keltner fünf Wege des Bewusstseins des gegenseitigen Einflusses entgegen:
- Werde das Gefühl von Macht gewahr, die lebendige Kraft, die durch deinen Körper wandert. Wahre Macht heißt, den eigenen Weg zu gehen und das Gemeinwohl zu fördern. Geld, Titel, soziale Klasse etc. sind alles nur Statussymbole, Insignien der Macht, die Möglichkeiten andeuten, die Welt zu verändern. Doch sie sind Mythen.
- Praktiziere Bescheidenheit. Kollektive verleihen uns Macht, indem sie uns Wertschätzung entgegen bringen. Unsere Macht wächst, wenn wir andere mit Demut beeinflussen. Sei nicht zu sehr von dir und deinen Leistungen beeindruckt, die anderen haben es dir immer ermöglicht, etwas in der Welt zu bewirken.
- Sei großzügig mit Geld, Zeit und Respekt. Verleihe anderen Macht. Gebe mehr als du nimmst. Menschen, die sich wechselseitig Macht verleihen, sind glücklicher und gesünder. Wer sich in puncto Macht auf Augenhöhe wahrnimmt, vertraut sich mehr und gehen gute Partnerschaften ein.
- Verhalte dich respektvoll. Frage die anderen, höre gut zu. Sei offen und neugierig. Spende Anerkennung und Lob.
- Vermeide, dass sich andere in deiner Nähe unterlegen fühlen.
Eine spannende Lektüre für alle, die sich mit dem Wesen von Macht tiefer auseinander setzen wollen.
Dacher Keltner: Das Macht Pradox. Wie wir Einfluss gewinnen – oder verlieren, Campus Verlag, Frankfurt/ New York 2016.