Verhandeln – Die neue Erfolgsmethode aus Harvard. Campus Verlag, Frankfurt/ New York.
Daniel L. Shapiro, Professor für Psychologie in Harvard, ist Gründer des Harvard International Negotiation Program. Er ist anerkannter Experte für internationale Verhandlungen und berät seit Jahrzehnten Staatsoberhäupter in Krisengebieten, Top-Unternehmer bei Verhandlungen, aber auch Familien in privaten Konflikten.
Das legendäre Harvard-Konzept mit seiner Idee des Win-Win-Ansatzes hat die Verhandlungsstrategie seit den 1980ern wie kein anderes Konzept geprägt. Ob Shapiro sich mit seiner neuen Methode einen ähnlichen Erfolg erhofft, bleibt offen. Verhandeln sieht er als eine Methode zur Bearbeitung von Konflikten. Sein neues Paradigma ist: Konflikte lassen sich lösen, wenn wir verstehen, dass es neben den rationalen und emotionalen Differenzen im Kern um Identität geht. Um die eigene Identität und um die des anderen. Menschen können zu fast jedem Aspekt in ihrem Leben eine starke Identifikation entwickeln und ihn mit tiefer Bedeutung aufladen.
Shapiro erklärt das Modell für die Entstehung und Eskalation von Konflikten in menschlichen Beziehungen. Er zeigt praxisnah auf, wie Verhandlungen geführt und Konflikte nicht nur gelöst, sondern ihnen auch vorgebeugt werden kann. Beim Verhandeln gehe es immer auch um Glaubenssätze, Rituale, Loyalitäten, Werte und Prägungen geht. Werden diese verletzt, sind Probleme vorprogrammiert. Dabei spricht seine Methode nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz an und setzt durch die Beschäftigung mit der menschlichen Identität neue Impulse.
Konfliktlösung auf Ebene der Identität
Der 1. Teil geht um den Sog des Konfliktes. Shapiro unterscheidet dabei Konflikte auf der Ebene des Homo economicus, die über Bedürfnisse vernünftig gelöst werden, des Homo emoticus, in denen Emotionen Botschafter für Lösungen sind, und des Homo identicus, die Lösungen in elementaren Aspekten der Identität finden. Im 2. Teil geht Shapiro darauf ein, wie man sich von Begleiterscheinungen eines Konfliktes befreien kann. Hierbei betrachtet er v.a. das Schwindelgefühl im Sog des Konfliktes, das die Vernunft ausschaltet. Und den Zwang, Konfliktmuster zu wiederholen. Er spricht von Tabus, von heiligen Glaubenssätzen und dem Nutzen von Identität für die Lösung von Konflikten. Der 3. Teil geht darauf ein, wie sich tiefe Gräben in Konflikten überwinden und Beziehungen versöhnen lassen. Im 4. Teil zeigt Shapiro schließlich, wie das Nicht-Verhandelbare verhandelbar wird.
Gerade das Thema Identität als eine Wurzel von Konflikten stellt einen direkten Link zu Kliniken her. Auch heute noch sind Kliniken durch eine starke Sozialisation in den Berufsgruppen gekennzeichnet. Diese wirkt identitätsstiftend – im positiven wie negativen Sinne. Identität hat immer mit der Frage zu tun, wer wir sind, was uns wichtig ist und uns Sinn gibt. Eine Frage, die in der Arbeit mit und für Patienten zu beantworten ist. Zugleich führt die harte Abgrenzung in den Berufsgruppen zu einem – wie es Shapiro ausdrücken würde – starken „Stammesdenken“, das in Ab- und Ausgrenzung mündet und Konflikte begründet. Daher kann der Blick auf den Homo identicus bei der Bearbeitung von Konflikten in Kliniken einen spannenden Beitrag leisten.
Daniel L. Shapiro: Verhandeln – Die neue Erfolgsmethode aus Harvard, Campus Verlag, Frankfurt/ New York 2018.