Eine Kunst für Beziehungsmenschen ist es, klar Nein zu sagen. Eine Erklärung hierfür und ein Lösungsmodell leiten sich aus der Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall B. Rosenberg ab. Dabei geht es um die Balance von Autonomie und Verbundenheit, die eine Beziehung auf Augenhöhe ausmacht.
1. Die Schönheit des Bittens erkennen
Um gut für sich selbst und seine Bedürfnisse zu sorgen, hat der Mensch als soziales Wesen eine schöne Strategie zur Verfügung: Mitmenschen einbinden und sie um konkrete Unterstützung bitten. Sich gegenseitig aus freien Stücken zu unterstützen ist eine vertiefende Erfahrung in der Beziehung. Sie wird durch das Stellen einer konkreten Bitte oft erst gebahnt. Doch die Bitte zu erfüllen, muss für den Gebetenen gerade auch stimmig sein. Ansonsten kommt es darauf an, ein Nein als Würdigung der Freiheit und Autonomie des Anderen hinnehmen zu können. Dies unterscheidet die Bitte von der Forderung. Die Bitte ist in die Offenheit gekleidet, sowohl ein Ja als auch ein Nein des Gegenübers zu akzeptieren. Sich im Klaren zu sein, dass die Bitte ein Lösungs-Strategie darstellt. Ohne sie mit dem dahinter liegenden Bedürfnis selbst zu verwechseln.
Ohne einen Funkten Hoffnung auf Erfüllung ist es undenkbar, dass jemand eine Bitte äußert. Die ausgesprochene Bitte senkt das Risiko, wegen unausgesprochener gegenseitiger Erwartungen aneinander vorbei zu handeln. Die Offenheit in punkto ein „Ja“ oder ein „Nein“ zu bekommen, macht das „Ja“ wertvoll. Bitten zu äußern ermöglicht es, effektive Mitgestalter des eigenen Lebens und seiner Beziehungen zu sein. Forderungen und Kontrolle hingegen tötet Lebendigkeit.
2. Eine aus freien Stücken erfüllte Bitte schafft Verbindung
Wenn wir anderen eine Bitte aus eigener bewusster Entscheidung dafür erfüllen, dann macht uns das glücklich. Faszinosum ist: In dem Moment, in dem wir jemanden ohne Gegenleistung eine Bitte erfüllen, verbinden wir das unbewusst mit Sympathie und Zuneigung füreinander. Die gleiche Freude tragen wir in uns, wenn wir im Vertrauen darauf, dass das Gegenüber seine Bedürfnisse genauso ernst nimmt wie meine, Zuwendung auf unsere Bitte bekommen. Das gute Gefühl stellt sich aber nur ein, wenn das „ja“ ehrlich gemeint ist.
Man kann Ja-Sagern kritisch gegenüber stehen. Doch das heißt noch lange nicht, dass man sich leicht tut, klar Nein zu einer konkreten Bitte zu sagen und für seine eigenen Grenzen einzustehen. Man fragt sich zumindest unbewusst, was es mit dem Anderen bzw. der gegenseitigen Verbindung macht. Die Frage ist, wie kann ich für mich Nein sagen, ohne unsere Verbindung zu unterbrechen? Wer nämlich nicht Nein sagt, nur um nicht durch das Abschlagen einer Bitte zu verletzen – macht die Verbundenheit von der Reaktion auf eine Bitte abhängig. Das schafft Pseudoharmonie, also nur eine scheinbar harmonische Verbundenheit. Und der Preis für den Scheinfrieden ist hoch. Die Gefahr ist, dass sich viele nicht ausgesprochene Neins ansammeln bis man den Kipppunkt überschreitet und dann unverhofft ein riesiges Beziehungsproblem vorliegt.
3. Sich Selbsteinfühlung geben: Jedes Nein ist zugleich auch ein Ja
In Zeiten knapper oder erschöpfter Ressourcen braucht es oft nichts mehr als ein aufrichtiges Nein. Schon Bernhard von Clairvaux fragt, was ein freigebiges Ja nutzt, wenn der andere sich dabei verausgabt. Dann hat das Annehmen einen schalen Beigeschmack und gerade kein erhebendes Gefühl. Eine Verbindung wird dadurch tief, dass sie belastbar ist, sich umeinander sorgt und mit den gegenseitigen Bedürfnissen in Kontakt ist. Aber nicht durch die Aufrechnung von Gefallen. Das Nein zur Bitte des anderen ist die Kehrseite der Entscheidung für ein Ja zu eigenen Prioritäten. Sich dessen bewusst zu sein, dass die eigenen Bedürfnisse genauso wichtig wie die des anderen sind, macht es leichter, für sich selbst einzustehen und die Bitte abzuschlagen. Hier stellt sich die Frage, wie ich das Nein klar kommunizieren und gleichzeitig unsere Verbindung pflegen kann?
4. Wenn Bitten keine Bitten sondern Forderungen sind, wird kein Nein akzeptiert
Klar ist, dass Menschen kaum Verständnis haben für ein kategorisches Nein, ein Nein zu gängigen Verhaltenscodes oder zu klaren Anweisungen. Wenn das Mittel der Anweisung jedoch über Gebühr eingesetzt wird, Erpressung oder andersartiger emotionaler Druck ausgeübt werden, dann entsteht ein Beziehungsgefälle der Abhängigkeit. Nur eine Seite entscheidet. Der Preis dafür ist hoch: Weder Gleichwertigkeit, noch Engagement und Motivation sind zu erleben. Es entsteht kein warmes Gefühl und keine tiefe Herzensverbundenheit. Man interessiert sich nicht wirklich füreinander. Es geht für den Betroffenen auf Dauer nicht mehr um die einzelne Bitte an sich, sondern um das Hinterfragen des Systems. Im dialogischen Kontext aber, in dem Menschen sich auf Augenhöhe begegnen und ihre gegenseitige Entscheidungsfreiheit respektieren, ist ein Nein eine Option.
5. Was ich verstehen kann, dafür kann ich leichter Verständnis haben
Wenn Ihr Vorgesetzter Sie bittet, eine Zusatzaufgabe zu übernehmen, Sie aber anderen Prioritäten in ihrer Planung folgen… Wie sagen Sie dann Nein, dass es gut annehmbar ist? Die gute Erklärung der Motive hinter dem Nein, macht es verstehbar. Man öffnet sich dem anderen mit seinen Beweggründen, um gut mit dem Interessenskonflikt umgehen zu können. Die guten Gründe für das Nein werden zur Nachvollziehbarkeit in Verbindung mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen gebracht. Im Dialog kann beim Bittende nachgefragt werden, was er gehört hat, um sich zu vergewissern, richtig verstanden worden zu sein. So kann lebendiges Verständnis wachsen.
Die Begründung mag im Vertrauen in die sichere Verbindung in vielen Fällen ausreichen. Trotzdem kann es sein, dass der andere zwar das Nein nachvollziehen kann, aber sich angesichts seiner eigenen (Not-) Lage zurückgesetzt und alleine gelassen fühlt. Formal hat er zwar eine Handlungsbitte ausgesprochen. Aber im Sinne des 4-Ohren-Modells schwingen in ihr auch Ich-Botschaften/ Selbstkundgabe und auf Ebene des Wir eine unausgesprochene Beziehungsbitte mit. Das macht es Menschen oft schwer, anderen Nein zu sagen und diese in ihren Hoffnungen und Erwartungen zu enttäuschen. Schnell kann sich aus einer Verletzung ein Konflikt entwickeln und Wertschätzung verloren gehen. Ein sicheres Zeichen, dass die Antwort als persönliche Kränkung erlebt wird und vielleicht sogar alte unverarbeitete Verletzungen getriggert werden.
6. Die Bedürfnisse beider Seiten wollen gehört werden
Beim leisesten Anflug von negativer Reaktivität soll man sich daher die Zeit nehmen und in die gegenseitige Bedürfnisklärung einsteigen. In den Giraffentanz wie die GFK den Dialog um die Klärung gegenseitiger Bedürfnisse auch liebevoll nennt.[1] Gefühle speisen sich nicht aus Argumenten, sondern aus Bedürfnissen [2]. Am Ende geht es bei einer friedvollen Haltung immer um Verbundenheit. Bevor sachliche gemeinsame Strategien tragfähig werden, sind Bedürfnisse und die Beziehung zu klären. Die Pflege der emotionalen Ebene hat Vorrang vor dem Inhalt. So dass am Ende ein Nein keine Rolle mehr spielt: Die Bitte wird gemeinsam solange in einer Dauerschleife weiter zur Synthese modifiziert. Bis beide dazu Ja sagen können und die Bedürfnisse beider Seiten berücksichtigt sind.
Es gilt, nicht der Gefahr des Ja-Aber-Spiels und damit dem Austausch von Argumenten zu verfallen, wenn man die Bedürfnisse auf den Tisch bringen will. Sondern selbst geklärt, die eignen Bedürfnisse einen Moment hinten anzustellen und die Bedürfnisse des andern empathisch in den Blick zu nehmen. Um sich aufrichtig mitteilen zu können, ist zunächst Empathie für die Bitte zu geben. So dass der Bittende die Sicherheit bekommt, gesehen und gehört zu werden. Zu zeigen, dass man die Bitte gehört hat und welche empathische Vermutung zum Wozu – als Frage oder Konjunktiv formuliert – man dazu hat.
7. Niemand kann Empathie geben, bevor er nicht selbst Empathie bekommen hat
Eine konkrete Bitte ist eine Strategie, die zunächst die Bedürfnisse des Fragenden in den Blick nimmt. In der GFK ist die Bitte nur verstehbar, wenn sie in Zusammenhang mit den dahinter stehenden Gefühlen und Bedürfnissen geäußert wird. Wer eine Bitte äußert, will etwas ändern. Die GFK kennt unterschiedliche Arten von Bitten auf Ebene der Strategie. Ihr Fokus liegt dabei darauf, in Verbundenheit miteinander zu sein.
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Handlungsbitten: sind Bitten um eine bestimmte Handlung oder um ein inhaltliches Feedback (oft um zu schnellen Lösungen zu kommen)
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Beziehungsbitten: sind Bitten um eine einfühlsame Reaktion, um eine Mitteilung, was beim anderen angekommen ist oder wie es ihm damit geht, was er dabei empfindet. Es geht dabei als darum, dem Fühlen Raum zu geben.
Es gilt, das Bedürfnis hinter der Bitte zu ergründen. Empathische Vermutungen dürfen dabei nicht auf Gedanken abstellen, sondern das Fühlen adressieren. Schnell werden im Eifer des Gefechtes Gefühle mit Gedanken oder gar Vorwürfen verwechselt. Das aber zerstört den Willen zur Kooperation. Selbst wenn eine Handlungsbitte geäußert wurde, kann es sein, dass der Anfrager das Nein nicht in der Sache, sondern (1.) auf der persönlichen Ebene hört, als Absage an die Beziehung. Und dass er (2.) so in seine Bedürfnisse verstrickt ist, dass er kein Ohr für die Antwort hat und ein Nein (noch) nicht empathisch hören kann. Dann war die Fähigkeit, offen mit einer Antwort umgehen zu können, nicht gegeben.
Eine echte Bitte im Dialog muss mit einer offenen Entscheidung – ja oder nein – umgehen können. Sonst ist es keine. Dann gilt es erst einmal, um die Beziehung zu halten, die eigenen Bedürfnisse einen Moment zu parken und die Bedürfnisse hinter der Bitte in den Blick zu nehmen. Der Bittende braucht so lange Einfühlung, bis er sich entspannt hat. Die Zeit zum Nachspüren, ob es im Hier und Jetzt gut ist, Zuhören, Raum halten. Wenn der Bittende in seinem Konflikt nicht reflektiert ist, sich selbst Einfühlung zu geben, braucht er die Empathie des Zuhörers. Sich auf der Ebene seiner Bedürfnisse gehört zu fühlen, lässt spüren, dass ich dem anderen wichtig bin. Menschen sind oft erst in der Lage, empathisch auf die Bedürfnisse anderer zu reagieren, wenn sie selbst Empathie bekommen haben.
8. Empathisch Zuhören bevor man sich aufrichtig mitteilen kann
Marshall B. Rosenberg erkannte: „Empathisch mit dem Nein des anderen zu sein, schützt uns davor, es persönlich zu nehmen.“
In der GFK gibt es keine Abkürzung als sich in die Bedürfnisse beider Seiten einzufühlen. Das ist das, was in Menschen lebendig ist. Ein Ansatz Nein zu sagen und gleichzeitig in der Verbundenheit zu bleiben, ist daher, nicht nur das eigene Nein gut zu erklären, sondern sich auch die Zeit zu nehmen, eine andere Strategie im Hier und Jetzt mit dem Anfrager zu entwickeln. Solange gemeinsam einen Weg für beide Seiten zu erkunden. Immer wieder offen nachfragen, was der andere verstanden hat, wie es ihm damit geht und was er braucht. Hier sind z.T. mehrere Runden zu drehen, sich die Bedürfnisse zu spiegeln und eine Synthese zu finden. Diese Aufarbeitung im offenen Dialog kann Zeit benötigen, die nicht immer da ist. Doch sie hat das Potenzial, die Verbundenheit trotz des initialen Neins zu stärken.
Auf Ebene der mit der Bitte vorgeschlagenen Strategie gibt es kein Commitment. Das muss nicht heißen, dass es keine andere gemeinsam getragene Lösung gibt. So gesehen bleibt es beim autonomen Nein zur anfänglichen Bitte, die nicht für beide Seiten stimmig ist. Aber der Dialog endet immer mit einem Ja zur Verbindung durch achtsame Anerkennung der Bedürfnisse aller Seiten. Im dialogischen Austausch selbst liegt eine neue tiefe Beziehungerfahrung. Statt im Widerstand und in Negativität zum Nein bzw. zur Bitte zu sein, wird kein Leid erschaffen, sondern es entsteht eine höhere warme Herzensenergie, indem beide Seiten mit ihrer Lebendigkeit in Kontakt kommen.
9. Umgang mit Blockaden
Gehört zu werden im Anliegen schafft Öffnung auch für Anliegen des anderen. Selbst wenn ich diese Verbundenheit will, sich gegenseitig in seinen Bedürfnissen zu sehen und Lösungen zu finden, ist das nicht immer sofort möglich:
- Ich bin selbst nicht in meiner Kraft und in der Lage, mich auf den Klärungsprozess einzulassen.
- Man hat sich in ein Ja-Aber-Gefecht mit Urteilen, Drohungen und Schuldvorwürfe so verfahren, dass im Moment nicht auf die Ebene der Bedürfnisse vorzudringen ist. Obwohl im Grunde jeder nur darum kämpft, mit seinen Bedürfnissen gesehen zu werden.
- Die Beteiligten brauchen Zeit zum Abkühlen und Nachspüren, bevor die gemeinsame Lösung sich entwickeln kann.
Bei solchen Blockaden hilft erst einmal der Ausstieg aus der Situation mit ehrlichem Bedauern und Dankbarkeit für die Ehrlichkeit. Für den Moment tritt jeder für sich ein und man lässt die Differenz stehen ohne sie persönlich zu nehmen. Ein Wiederanschließen ist dann leichter zu einem späteren Zeitpunkt aus Distanz zu den kraftraubenden Emotionen möglich.
Die Aufrichtigkeit des Neins braucht Empathie für beide Seiten. Das gibt Sicherheit, einander zu hören und anzuerkennen. Dahinter steck eine enorme Kraft der Verbundenheit: Die Bedürfnisse werden ins Leben geholt und schaffen lebendige Beziehungen. In dieser Haltung fließt jedes Einstehen für sich selbst letztlich sogar in eine Vertiefung der authentischen Verbindung zwischen Menschen.
So steht am Ende der Bitte das Danke.
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Autonomie in der Verbundenheit
1. Bitte hören: Und das Beziehungsangebot dahinter erkennen.
2. Autonome Selbstklärung: Will ich dazu ja sagen?
3. Selbsteinfühlung geben: Jedes Nein ist zugleich auch ein Ja. Ja wozu?
4. Kulturcheck: Wenn Bitten Forderungen sind, wird kein Nein akzeptiert.
Wo Gehorsamkeit eingefordert wird, leiden Verbindung, Augenhöhe, Entscheidungsfreiheit.
5. Erklären: Was ich verstehen kann, dafür kann ich leichter Verständnis haben.
6. „Giraffentanz“: Bedürfnisse beider Seiten gleichwertig hören.
7. Die Kunst der Konfliktklärung liegt darin, die Bedürfnisse des anderen zu sehen
(und die eigenen nur für einen Moment parken zu können).
8. Empathisch zuhören, aufrichtig mitteilen: Z.T. sind bis zur gemeinsamen Strategie
viele Schleifen im Prozess zu drehen. Am Ende steht das „Ja“ zueinander…
9. Blockaden erkennen und erst einmal aus dem Prozess rausgehen (Reiz-Reaktions-Schema).
[1] Ein authentisches Anschauungsbeispiel ist die Milchtütenbitte von Iris und Jürgen. Im langsamen Dialog mit laufender Rückkopplung an die Bedürfnisse beider zeigen sie, wie es gelingt, die eigenen Bedürfnisse und die Reaktanz des anderen darauf anzusprechen und – in der Haltung, gegenseitig verbunden bleiben zu wollen und sich die Zeit zu nehmen- die Beziehung in der Akzeptanz der gegenseitigen lebendigen Bedürfnisse zu vertiefen. Die Kunst ist, keinen Vorwurf zu hören, sondern die Selbstkundgabe.
[2] Axiom der GFK: Bedürfnisse sind universal gültig, insbesondere unabhängig von Person, Zeit und Ort, sonst sind es Strategien.
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