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Lown, Bernard (15. Auflage, 2004)

von Mrz 17, 2021Buchtipps

Die verlorene Kunst des Heilens – Anleitung zum Umdenken. Suhrkamp Verlag Berlin, 15. Auflage 2004.

Lown – ein besonderer Mensch

US Kardiologe Bernhard Lown ist am 2021 wenige Wochen vor seinem 100. Geburtstag verstorben

Lown war von ganzem Herzen Wissenschaftlicher und Arzt – im wahrsten Sinne des Wortes. Und als Kardiologe hat er bahnbrechende Entwicklungen getrieben wie in den 1960er Jahren Defibrillation und Kardioversion. Auch gehört die Klassifikation der Herzrhythmusstörungen nach Lown heute zum Grundwissen jedes Mediziners. Zudem hat er als Mitbegründer der International Physicians for the Prevention of Nuclear War 1985 den Friedensnobelpreis erhalten. Dann befasste er sich Im Laufe des Lebens immer mehr mit der schädlichen Kommerzialisierung des Gesundheitswesens mit DRGs. Und so setzte er sich für eine menschliche Medizin ein, die in erster Linie den Patienten und die ärztliche Kunst in den Mittelpunkt stellt, nicht die Technologie und den Profit.

In diesem Zuge veröffentlichte er 1996 „The Lost Art of Healing“. 2002 erschien die deutsche Ausgabe unter dem Titel: „Die verlorene Kunst des Heilens – Anleitung zum Umdenken.“ Es wurde der große Erfolg des Schattauer Verlags und wurde später auch vom Surkamp Verlag als Taschenbuch tausende Male verkauft. Doch sein Autorenhonorar stiftete Bernard Lown,  – im Einsatz für mehr Bildungsgerechtigkeit als die soziale Frage des 21. Jahrhunderts – um Ärzten in Entwicklungsländern Zugriff auf westliche Therapiestandards zu gewähren. Nicht zu unrecht wurde er also für sein Werk mit über 20 Ehrenpromotionen und Titeln ausgezeichnet.

Ganzheitliche Medizin als ärztliche Heilkunst

Die verlorene Kunst des Heilens ist ein Plädoyer Lowns für eine ganzheitliche Medizin und nicht nur allen Ärzten ans Herz zu legen. Durch die dualistische Trennung der Medizin von Seele und Körper im 19. Jahrhundert wird der Patient kaum noch als Ganzes behandelt. Der Körper degradiert seelenlos zum Objekt und plötzlich geht es mehr um Reparatur als um Heilen. Nach Lown dürfe der Arzt nicht nur in den Grenzen seines Spezialgebietes bleiben. Ärztliche Weisheit ist für Lown, ein klinisches Problem nicht nur in einem Organ, sondern im ganzen Menschen zu verstehen und ein ganzheitliches klinisches Bild zu schaffen. Kurz: Für Lown praktiziert ein guter Arzt die hippokratische Kunst des Heilens.

Diese Kunst beginnt im alltäglichen Gespräch zwischen Arzt und Patient, in dem der Art durch sensibles Fragen und Beobachten die Einmaligkeit des Gegenübers erfasst und so zuhört, dass er aus emotionalen Zuständen auch das unausgesprochene Wort zwischen den Zeilen wahrnimmt. Dabei geht es neben der Haltung nicht zuletzt um die Kunst des Zusammenspiels von Nähe und Distanz: so etwa waren Lown das Handgeben, Pünktlichkeit und ungeteilte Zeit dem Anderen gegenüber welbstverständlich. In dem Rahmen hat die berührende körperliche Untersuchung hohes Potenzial zur Grundlegung einer vertrauensvollen Beziehung. Und hoffnungsvolle, sachverständige Worte des Arztes geben Patienten Sicherheit und Aufrichtung.

Vom Zuhören über das Heilen zum würdevollen Sterben

Niemand will am Ende auf Symptome seiner Krankheit reduziert werden. In seinem Vorwort (S. 17) bringt Lown das Bedürfnis des Patienten auf den Punkt: „Patienten erbitten eine Partnerschaft mit ihren Ärzten, die ein Gespür sowohl für ihre schmerzgepeinigten Seelen als auch für ihre schlecht funktionierende Anatomie haben. Sie… Verlangen… nach einem Bündnis des Vertrauens zwischen Gleichrangigen. Dieses Vertrauen erwirbt sich der Arzt, während er die Kunst der Anteilnahme am Patienten ausübt.“ Dafür inspiriert Lown auf 400 Seiten mit vielen Episoden erlebter Krankengeschichten: Mit dem 1. Kapitel stellt er „Dem Patienten Zuhören können: Die Kunst der Diagnosestellung“ noch vor das eigentliche Heilen in Kapitel 2 und 3.

Das 4. Kapitel „Unheilbare Probleme“ im letzten Drittel des Buches gilt dem hochbetagten Patienten, der Lown sehr am Herzen lag. Laut dem Deutschen Evangelischen Krankenhausverband sterben 77% der Deutschen in Kliniken und Pflegeheimen.[1] Umso wichtiger ist es in unserer sozialen Gesellschaft doch, die „Institutionalisierung des Sterbens“ zu beenden. Und vielmehr dem würdevollen Sterben und Tod im Krankenhaus im Beisein der Liebsten Raum zu geben. Das Sterben gut zu begleiten und Heilen dürfen kein Widerspruch sein. Denn Heilen ist ja gerade nicht Reparieren. Schließlich darf der moderne Mensch, v.a. aber auch der Arzt, der ständig dem Tod begegnet, sich nicht von der Endlichkeit allen Lebens und vom stetigen Schreiten auf das Lebensende hin ablenken.

Was jeder Medizinstudent von Anfang an lesen sollte

Hektisches Sterben ohne Abschied, nur um zu versuchen, das Leben zu verlängern, verschlimmert den Tod. Hohe Einkommen der Krankenhäuser durch Apparatemedizin und unsinnige Therapien in den letzten Tagen des Lebens müssen uns als paradox bewusst werden. Hier bedarf es einer Haltung wider des Verdrängens, in der der Arzt den Betroffenen einen würdevollen Rahmen gestaltet. Gerade dieses Kapitel sollte jeder Medizinstudent nach einer Rezension des Deutschen Ärzteblattes zu Beginn und Ende seines Studiums lesen und diskutieren. Der Arzt wie Lown, der sich für den Menschen interessiert, wird wahrhaftig zum Heiler. Das Buch schließt mit zwei kurzen Abschnitten im 5. Kapitel über die Belohnungen für ärztliches Handeln und wechselt im letzten Kapitel die Perspektive auf die Kunst, Patient zu sein. Darin mündet es in den Schluss Lowns:

„Vor allen Dingen aber sucht man [als Patient] nach einen Anteil nehmenden menschlichen Wesen, dessen Sorge für seine Patienten geleitet ist, von einer Freude am Dienen, die in seinen Augen ein unvergleichliches Privileg ist.“

Leider ist das Buch aktuell nur gebraucht erhältlich. Ein Nachdruck sei geplant.

Lown, Bernard (2004):
Die verlorene Kunst des Heilens. Anleitung zum Umdenken. Suhrkamp Verlag Berlin, 15. Auflage 2004.

[1] Vgl. Beitrag aus der Welt: Warum viele sterben, wo sie nicht sterben wollen.

[2] Lowns Lebensweisheit kann unter die Haut gehen: Niemand kann wählen, wie er stirbt, sondern nur wie er lebt. Aber die Art wie wir sterben, wird geprägt von der Art wie wir gelebt haben. Haben wir ein liebevolles erfülltes Leben gehabt, begegnen wir auch dem Tod mit weniger Angst, Schuld und negativen Emotionen und quälen uns am Ende weniger.


 

Buchtipp – für noch mehr Inspiration

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