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Lerneinheit Coaching – Vom Wertequadrat und seinen Beispielen

von Feb 15, 2016Blogs

Friedemann Schulz von Thun liefert mit dem Wertequadrat Beispiele, um Defizite über eine Coachingtreppe umzudeuten. Das ist genial, um verinnerlichte Haltungen zu verändern. Die Idee des rechten Maßes von Werten und Stärken durch die Ausbalancieren von Gegenwerte geht dabei schon auf Aristoteles zurück. Wie funktioniert das Wertequadrat mit den Stärken, Übertreibungen, Ergänzungen und Gegenwerten? Wie kann es utilisiert und reflektiert werden?

 

Wertequadrat

Das Wertequadrat fand seinen originären Ideengeber bereits in Aristoteles. Entwickelt hat es Paul Helwig 1967. [1] Friedemann Schulz von Thun hat es 1989 [2] für die Kommunikation entdeckt und Maren Fischer-Epe [3] später für konstruktive Kritik. Mit dem Wertequadrat lassen sich Abwertungen vermeiden und Synthesen finden. Denn die Grundidee des Wertequadrates ist, dass es im Verhalten zu jedem Wert und jeder Stärke, einen Gegenwert und ergänzende Qualität gibt. Denn es braucht ein rechtes Maß, um die Stärke nicht zu übertreiben. Bei jedem Zuviel des Guten, kippt eine Stärke in ihr Gegenteil. So hat bereits Aristoteles den Gedanken der rechten Mitte in folgendem Beispiel griffig gemacht: Neben der Sparsamkeit braucht es die Großzügigkeit, um nicht zum Geizhals zu werden. Wie auch die Balance den Großzügigen vor Verschwendung bewahrt.

Wertequadrat Beispiel von Schulz von Thun: Von Pedanten und Chaoten

Stellen Sie sich zwei ungleiche Familien vor, die zur gleichen Zeit in ein Doppelhaus ziehen: Familie Zielstrebigkeit hat den Umzug lange vorbereitet, alle Kartons mit Inhalt und Zielraum beschriftet. Als der Umzugswagen kommt, wird er beladen. In nur zwei Tagen ist die Wohnung eingerichtet und alle Kartons sind im Keller verstaut. 

Familie Gelassenheit hat dagegen die letzten Kisten noch am Tag des Umzugs verpackt. Die Freunde trudeln ein und es beginnt ein buntes Drunter und Drüber. Am Abend stehen die Kisten noch verschlossen in den Räumen, doch sind die Kerzen bereits ausgepackt, Musik läuft und es wird eine spontane Umzugsparty gefeiert. Das Auspacken der Kisten dauert noch Wochen, dafür wachsen in allen Räumen kreative Wohnideen und Gemütlichkeit. Natürlich sind sich die beiden Familien nicht grün. Die eine ist wenig erfreut über die chaotischen Tagträumer von nebenan, die anderen stören sich an den pedantischen Karrieristen von drüben mit ihrem ewigen Karrieregrenne.

Wertequadrat

Blinde Flecken

Ganz wie bei der Metapher mit den vier Kutschenpferden der Persönlichkeitsentwicklung von C.G. Jung ist der Gegenwert bei der Person unter der eigenen Stärke oft unterentwickelt. Wer eine besondere Stärke hat, hat im Gegenwert in der Regel weniger Talent. Das lässt sich erkennen, wenn ein Wert durch negative Übertreibung zum Risiko wird: Zu Wert und Gegenwert gibt es nach Schulz von Thun jeweils eine negative Übertreibung. Übermaß lässt sich durch gegenseitige Ergänzung vermeiden. Hier also:

Wert Gegenwert
Stärke Zielstrebigkeit Strukturiertheit Gelassenheit
Flexibilität / Kreativität
Neg. Übertreibung Karrieregerenne
Pedanterie
Tagträumerei
Chaotik

Balancieren und ins rechte Maß kommen

Friedemann Schulz von Thun liefert mit dem Wertequadrat Beispiele, um Defizite umzudeuten. Zu jedem Wert existiert ein diametral entgegen gesetzter Gegenwert. Beide Werte besitzen in ihrer Unterschiedlichkeit ihre eigenen Qualitäten und sind die perfekten Ergänzungen zueinander. Auch wenn das der Nachbar so nicht wahrnehmen kann. Die Zielstrebigkeit geht den Umzug strukturiert und geplant an, die Gelassenheit dagegen kreativ und flexibel. So wird der Gelassenheit vorgeworfen, sie wirke chaotisch und der Zielstrebigkeit, sie agiere pedantisch. Gerade im Stress und Konflikt werden die fremden Stärken nicht gesehen. In der Andersartigkeit wird die „schwierige“ und nicht die „interessante“ andere Person gesehen. Dabei ergänzen sich Wert und Gegenwert. Beide könnten voneinander lernen. Z.B. den Umzug strukturiert planen und dann ausgiebig miteinander feiern.

Das Wertequadrat von Schulz von Thun hilft zur Orientierung und im Coaching. Für die persönliche Entwicklung ist es hilfreich, die eigenen Stärken zu kennen und sie durch Gegenwerte positiv zu ergänzen. So findet sich eine gesunde Balance statt in die negative Übertreibung abzudriften. Wenn Schwierigkeiten in einem Team auftreten, bietet sich das Wertequadrat zu Analyse an. Häufig wird dann der anderen Seite die negativen Übertreibung vorgeworfen; die mögliche wertvolle Ergänzung wird nicht mehr gesehen. Ein Coach kann in der Situation die Umdeutung anbieten, den Gegenwert positiv konfrontieren und so an der Wertschätzung füreinander arbeiten.

Konstruktives Feedback durch Orientierung am Wertequadrat

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Mitarbeiter, der sehr gute Arbeit leistet. Es gibt jedoch ein Verhalten, das Anlass zum Anstoß gibt. Das möchten Sie konstruktiv vermitteln, sodass der Mitarbeiter es annehmen und als Ansporn nehmen kann. Die Grundidee ist, an der ausgeprägten Stärke anzusetzen und einen Ergänzungsbedarf dazu in Relation zu stellen. Zur Vorbereitung auf das Gespräch sehen wir uns daher im Wertequadrat um.

  • Welchen Wert zeichnet den Mitarbeiter aus? Was ist seine Stärke? Damit kann das Gespräch gerahmt werden. Z. B. am Beispiel der Familie Zielstrebigkeit:
    Ich schätze Ihre Strukturierung und Termintreue, wenn Sie ein Ziel verfolgen.“

  • Der Gegenwert wird als eine wichtige Ergänzung benannt:
    Was ich mir wünsche, ist, dass Sie diese Stärken zunehmend auch durch etwas mehr Gelassenheit erhalten und sich mehr Spontanität erlauben.“
  • Die Übertreibung des Gegenwertes wird aktiv ausgeschlossen:
    Damit meine ich jetzt nicht, dass Sie Ihre Termine nicht mehr einhalten oder den roten Faden verlieren sollen. Das würde Ihnen nicht gerecht werden und ist auch überhaupt nicht das, was Sie auf eine gute Weise ergänzt.“
  • Zuletzt lässt sich noch die problematische Übertreibung des Wertes ansprechen:
    Wichtig ist mir, dass Sie Ihre Strukturierung und Termintreue erhalten. Manchmal übertreiben Sie es mit der Disziplin und das führt dazu, dass Sie sehr angespannt arbeiten und ihr Umfeld unter Stress setzen. Hier wäre mehr Gelassenheit für Sie förderlich.

Mit dieser Coachingtreppe werden wenig Widerstand und Demotivation ernten. 

 

Beobachten Sie sich selbst. Wenn Sie z. B. strukturiert arbeiten, werden Sie Mitarbeitende, die eine gewisse Spontanität an den Tag legen, als schwierig empfinden? Sie werden vielleicht denken: “Mein Gott, ist das chaotisch“. Dann fokussieren Sie auf die negative Übertreibung des Anderssein. Sie werden diagnostizieren: „Es braucht mehr Struktur.“ Anstatt das Gespräch nun aber direkt mit dem Problemdiagnose und dem Konflikt zu starten, ist wirksamer und konstruktiver, mit der Anerkennung der Stärke zu starten. Dann lässt sich das Gespräch von der negativen Übertreibung zum Gegenwert zu spannen und diesen so als sinnvolle Ergänzung zur Stärke betonen. Die Übertreibung des Gegenwertes darf dabei gleich ausgeschlossen werden.

 

[1] Vgl. Helwig, Paul (1967): Charaktereologie.
[2] Vgl. Schulz von Thun, Friedemann (1989): Miteinander reden 2 – Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung, Reinbek,
[3] Vgl. Fischer-Epe, Maren (2011): Coaching: Miteinander Ziele erreichen, 4. Auflage.