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Glück und Unglück: Eine Frage der Perspektive und Gelassenheit

von Jun 6, 2020Impulsgeschichten

Die folgende Weisheitsgeschichte der chinesischen Philosophie aus dem 2. Jhd. v. Chr. entstammt dem Huainanzi, dem umfassendsten Klassiker des Daoismus.[1] Es ist eine Lektion in Gelassenheit – denn eine Bewertung ist immer an eine Perspektive geknüpft.

Der Gleichmut des weisen chinesischen Bauern

Vor langer Zeit lebte ein armer chinesischer Bauer am Rande des Reichs der Mitte. Durch eine Erbschaft kam er zu Geld. Davon kaufte er sich einen kräftigen. Der Zaun seiner Koppel war jedoch nicht hoch und eines Morgens war ihm der Hengst fortgelaufen. Als die Nachbarn davon hörten, bedauerten sie den Bauern für das Unglück: Du Armer. Jetzt hattest du durch einen glücklichen Umstand ein Pferd, und dann läuft es dir davon. Der Bauer sagte nur: Ach ja.
Er machte sich auf die Suche nach seinem Hengst. Nach Wochen fand er ihn in der Wildnis. Er rief und das Tier kam auf ihn zu. Aber nicht alleine. Eine kleine Wildherde folgte dem Hengst. So kehrte der Bauer mit einer Herde edler Pferde ins Dorf zurück. Die Nachbarn staunten über das Glück: Jetzt bist du der Reichste von uns allen. Der Bauer zuckte mit den Schultern und erwiderte: Ach ja.

Der Sohn des Bauern ritt die Wildpferde ein. Dabei wurde er so unglücklich abgeworfen, dass er sich die Knochen brach und im Gipsbett landete. Wieder eilten die Nachbarn herbei und klagten, was das für ein Unglück für den Bauern sei, da sein Sohn jetzt nicht mehr auf dem Hof arbeiten könne: Armer Kerl, jetzt stehst du mit der Arbeit alleine da, und wer weiß, ob dein Sohn jemals wieder richtig gesund wird? Der Bauer antwortete nur: Ach ja.
Wenige Tage darauf schreckte das Dorf aus dem Schlaf. Wildes Getrappel in den Straßen und Gassen weckte sie. Die Soldaten des Kaisers waren angeritten, um alle jungen Männer im Dorf für den Kriegsdienst gegen die einfallenden Barbaren zu holen. Nur den verletzten Bauerssohn wollten sie nicht. Da hörte man die Nachbarn sagen: Was hat der Bauer doch ein Glück. Sein Sohn muss nicht in den Krieg. Der aber dachte nur: Ach ja.

Das Leben als Wechselspiel von Glück und Unglück

Die Dörfler bewerten die Ereignisse spontan als Glück (“das ist gut”) oder Unglück (“das ist nicht gut”) ohne sie im größeren Kontext sehen zu können. Der einfache Bauer mit seiner Gelassenheit und Lebensweisheit weiß, dass das Leben ein Wechselspiel von Yin und Yang, von Licht und Schatten, von Glück und Unglück ist. Er nimmt das Leben in Gleichmut so wie es ist, ohne sofort bewerten und findet darin Ruhe und sein wahres Glück.

Gelassenheit, Gleichmut oder Gemütsruhe ist ein Ausdruck innerer Ruhe und die Fähigkeit, v.a. unter emotionalen Stress und gegenüber dem Unverfügbaren sein seelisches Gleichgewicht zu wahren. Das Leben in Gelassenheit meint so das Leben in der Gegenwart.[2] Meist lohnt sich Aufregung im Hier und Jetzt nicht. Dinge, die schon passiert sind, können durch Aufregung nicht ungeschehen gemacht werden. Und was in der Zukunft passieren könnte, kann durch inneren Aufruhr auch nicht beeinflusst werden. Das Einzige, was sich durch die Aufregung wirklich ändert, ist die eigene Stimmung und die der Menschen in der direkten Umgebung…

Eine Lektion in Gelassenheit

Diese Erkenntnis inspiriert, Ärger und Sorgen um sich selbst loszulassen: Wer gelassen bleibt, hat mehr Möglichkeiten zu reagieren, kann über die nächsten Handlungen nachdenken und sich gezielt verhalten. Es geht ihm ohne Dramaspiele besser. Letztlich geht es beim Loslassen um das eigene Ego und auf das Einlassen, auf das was ist.

Es ist die (unbewusste ) Angst der entscheidende Faktor, weil sie Gleichmut verhindert. Es herrscht eine Dauerspannung vor, die in ihrem ganzen Ausmaß nicht bewusst, die die Seelenruhe und damit Gleichmut verhindert. Solange es so ist, geht der Aufenthalt in der Arena nicht zu Ende. Die Bereitschaft, alle misslichen Gefühle willkommen zu heißen, ist der Einstieg in den Ausstieg.
Uli Ebert, Sozialpädagoge

Gelassenheit kann man sich zur guten Gewohnheit machen. Was den Körper entspannt, ist gut für die Gelassenheit. Ein erholsamer Schlaf, regelmäßige Pausen und Sport. Auch das Achten seiner Bedürfnisse und frühzeitige Verteidigen seiner Grenzen baut dem Anstieg des Stresspegels vor. In emotionalen Situationen ist es zentral, seine Gedanken und Gefühle zu reflektieren statt sich in Ängste, Sorgen und Probleme hinein zu steigern. Sich klarzumachen, dass man nur einen kleinen Teil der Realität überblickt und über die guten Gründe für das Verhalten anderer zu wenig weiß, hilft, nachsichtiger mit sich und anderen zu sein. Sich und andere so zu lassen wie sie sind, statt sie verändern zu wollen. Was angenommen wird, kann sich verwandeln. [3]

Die 10 Gebote der Gelassenheit

Dem Papst des 2. Vatikanischen Konzils, Johannes XXIII. (1881–1963), werden Die 10 Gebote der Gelassenheit zugeschrieben: [4]

 

Nur für heute –

werde ich…

1. Leben

… mich bemühen, einfach den Tag zu erleben, 
ohne alle Probleme meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.

2. Sorgfalt

… Wert auf mein Auftreten legen und vornehm sein im Verhalten:
Ich werde niemanden kritisieren, korrigieren oder verbessern.

3. Glück

… in der Gewissheit glücklich sein, dass ich für das Glück der Welt geschaffen bin.

4. Realismus

… mich an die Umstände anpassen,
ohne zu verlangen, dass die Umstände sich an meine Wünsche anpassen.

5. Lesen

… 10 Minuten einer guten Lektüre widmen.
Wie Nahrung für das Leben des Leibes ist, ist Lektüre für das Seelenleben.

6. Handeln

… eine gute Tat vollbringen und es niemand erzählen.
Die gute Tat belohnt sich selbst.

7.Überwinden

… etwas tun, wozu ich keine Lust habe.Wenn ich mich beleidigt fühle, werde ich mich überwinden, dass niemand es merkt.

8. Planen

… ein Programm aufstellen, auch wenn ich mich nicht genau daran halte.
So hüte ich mich vor Hetze und Unentschlossenheit.

9. Mut

… keine Angst haben.
V.a. nicht davor, mich an allem von Herzen zu freuen, was schön ist.

10. Vertrauen

… daran glauben, selbst wenn die Umstände dagegen scheinen,
dass sich die Vorsehung Gottes gütig um mich kümmert.

[1] Quelle: Huainanzi, 18. Kapitel. Hier in freier Ausschmückung in Anlehnung an: Junker, Stefan (2018): Krise – Hirn an: Klar denken und handeln bei trüben Aussichten, S. 150-151.

[2] Bei den christlichen Mystikern (wie Meister Eckhart: „Man muss erst lassen können, um gelassen zu sein.“) zielt Gelassenheit auf ein vertrauensvolles Loslassen von der Ichbezogenheit des eigenen Willens in die völlige Einwilligung in den Willen Gottes.

[3] So meint Anselm Grün, die beste Führung ist die, die die Menschen lassen kann, so dass sie in die Gestalt hineinwachsen, die ihnen entspricht und sie zu guten Menschen werden. Dies meint nicht Gleichgültigkeit, sondern Begleitung, Unterstützung, Stärkung auf dem eigenen Weg. Wenn wir gegen unsere Fehler und Schwächen kämpfen und sie loswerden wollen, bleiben Sie an uns haften. Es gilt viel mehr, die Schattenseiten als Teile des Ganzen zu integrieren, so dass die Lichtseiten zur Entfaltung kommen.

[4] Vgl. Johannes XXIII. (2006): Für das Glück geschaffen: Die zehn Regeln der Gelassenheit. St. Benno, Leipzig. Keine der 10 Lebensregeln in der Übung der Geduld ist spezifisch christlich, was zur weiten Verbreitung beigetragen hat.

Es gilt, nicht der Gefahr des Ja-Aber-Spiels und damit dem Austausch von Argumenten zu verfallen, wenn man die Bedürfnisse auf den Tisch bringen will. Sondern selbst geklärt, die eignen Bedürfnisse einen Moment hinten anzustellen und die Bedürfnisse des andern empathisch in den Blick zu nehmen. Um sich aufrichtig mitteilen zu können, ist zunächst Empathie für die Bitte zu geben. So dass der Bittende die Sicherheit bekommt, gesehen und gehört zu werden. Zu zeigen, dass man die Bitte gehört hat und welche empathische Vermutung zum Wozu – als Frage oder Konjunktiv formuliert – man dazu hat.

 

7. Niemand kann Empathie geben, bevor er nicht selbst Empathie bekommen hat

Eine konkrete Bitte ist eine Strategie, die zunächst die Bedürfnisse des Fragenden in den Blick nimmt. In der GFK ist die Bitte nur verstehbar, wenn sie in Zusammenhang mit den dahinter stehenden Gefühlen und Bedürfnissen geäußert wird. Wer eine Bitte äußert will etwas ändern. Die Gewaltfreie Kommunikation kennt unterschiedliche Arten von Bitten auf Ebene der Strategie. Ihr Fokus liegt dabei darauf, in Verbundenheit miteinander zu sein.

  • Handlungsbitten: sind Bitten um eine bestimmte Handlung oder um ein inhaltliches Feedback (oft um zu schnellen Lösungen zu kommen)

  • Beziehungsbitten: sind Bitten um eine einfühlsame Reaktion, um eine Mitteilung, was beim anderen angekommen ist oder wie es ihm damit geht, was er dabei empfindet. Es geht dabei als darum, dem Fühlen Raum zu geben.

Es git zunächst, das Bedürfnis des Bittenden hinter seiner Bitte genauer zu ergründen. Emphatische Vermutungen dürfen dabei nicht auf Gedanken abstellen, sondern das Fühlen adressieren. Schnell werden im Eifer des Gefechtes Gefühle mit Gedanken oder gar Vorwürfen verwechselt. Das aber zerstört jeden Kooperationswillen. Selbst wenn eine Handlungsbitte geäußert wurde, kann es sein, dass der Anfrager das Nein nicht in der Sache, sondern (1.) auf der persönlichen Ebene hört, als Absage an die Beziehung. Und dass er (2.) so in seine Bedürfnisse verstrickt ist, dass er kein Ohr für die Antwort hat und ein Nein (noch) nicht empathisch hören kann. Dann war die Fähigkeit offen mit einer Antwort umgehen zu können, nicht gegeben.

Eine echte Bitte im Dialog muss mit einer offenen Entscheidung – ja oder nein – umgehen können, sonst ist es keine. Dann braucht der Antwortende nicht mit einem Nein und seinen Bedürfnissen anfangen. Vielmehr gilt es nun erst einmal, um die Beziehung zu halten, die eigenen Bedürfnisse einen Moment zu parken und die Bedürfnisse hinter der Bitte in den Blick zu nehmen. Der Bittende braucht so lange Einfühlung, bis er sich entspannt hat. Die Zeit zum Nachspürenlassen, ob es im Hier und Jetzt gut ist, Zuhören, Raum halten. Wenn der Bittende in seinen Konflikt nicht so reflektiert ist, sich selbst Einfühlung zu geben, braucht er die Empathie des Zuhörers.  Sich auf der Ebene seiner Bedürfnisse gehört zu fühlen, lässt spüren, dass ich dem anderen wichtig bin. Menschen sind oft erst in der Lage, empathisch auf die Bedürfnisse anderer zu reagieren, wenn sie selbst Empathie bekommen haben.

 

8. Empathisch Zuhören bevor man sich aufrichtig mitteilen kann

Marshall B. Rosenberg erkannte: „Empathisch mit dem Nein des anderen zu sein, schützt uns davor, es persönlich zu nehmen.“ 

In der GFK gibt es keine Abkürzung als sich in die Bedürfnisse beider Seiten einzufühlen. Das ist das, was in Menschen lebendig ist. Ein Ansatz Nein zu sagen und gleichzeitig in der Verbundenheit zu bleiben, ist daher, nicht nur das eigene Nein gut zu erklären, sondern sich auch die Zeit zu nehmen, eine andere Strategie im Hier und Jetzt mit dem Anfrager zu entwickeln. Solange gemeinsam einen Weg zu erkunden, wie die dahinterliegende Bedürfnis beider Seiten erfüllt werden können. Immer wieder offen nachfragen, was der andere verstanden hat, wie es ihm damit geht und was er braucht. Hier sind mitunter mehrere Runden zu drehen, die gegenseitigen Bedürfnisse zu spiegeln und eine gemeinsame Synthese zu finden. Diese Aufarbeitung im offenen Dialog kann Zeit benötigen, die nicht immer da ist. Sie hat das potenzial die Verbundenheit trotz des initialen Neins zu stärken.

Auf Ebene der mit der Bitte vorgeschlagenen Strategie gibt es kein Commitment. Das muss aber nicht heißen, dass es keine andere gemeinsam getragene Lösung gibt. So gesehen bleibt es beim autonomen Nein zur anfänglichen Bitte, die nicht für beide Seiten stimmig ist. Aber der Dialog endet immer mit einem Ja zur Verbindung  durch achtsame Anerkennung der Bedürfnisse aller Seiten. Im dialogischen Austausch selbst liegt dann eine neue tiefe Beziehungerfahrung. Statt im Widerstand und In Negativität zum Nein bzw. zur Bitte zu sein, wird kein Leid erschaffen, sondern es entsteht eine höhere warme Herzensenergie, indem beide miteinander mit ihrer Lebendigkeit in Kontakt kommen.

 

9. Umgang mit Blockaden

Gehört zu werden im Anliegen schafft Öffnung auch für Anliegen des anderen. Selbst wenn ich diese Verbundenheit will, sich gegenseitig in seinen Bedürfnissen zu sehen und Lösungen zu finden, ist das nicht immer sofort möglich:

  • Ich bin selbst nicht in meiner Kraft und in der Lage mich auf den Klärungsprozess einzulassen. 

  • Man hat sich in ein Ja-Aber-Gefecht mit Urteilen, Drohung, Schuldvorwürfe und Urteile so- verfahren, dass im Moment nicht auf die Ebene der Bedürfnisse vorzudringen ist. Obwohl im Grunde jeder nur darum kämpft, mit seinen Bedürfnissen gesehen zu werden.
  • Die Beteiligten brauchen Zeit zum Nachspüren, bevor die gemeinsame Lösung sich entwickeln kann.

Bei solchen Blockaden hilft erst einmal der Ausstieg aus der Situation mit ehrlichem Bedauern und Dankbarkeit für die Ehrlichkeit. Für den Moment tritt jeder für sich ein und man lässt die Differenz stehen ohne sie persönlich zu nehmen. Ein Wiederanschließen ist dann leichter zu einem späteren Zeitpunkt aus Distanz zu den kraftraubenden Emotionen möglich. 

Die Aufrichtigkeit des Neins braucht Empathie für beide Seiten. Das gibt die Sicherheit, einander zu hören und anzuerkennen. Dahinter steck eine enorme Kraft der Verbundenheit: Die Bedürfnisse werden ins Leben geholt und schaffen lebendige Beziehungen. In dieser Haltung fließt jedes Einstehen für sich selbst letztlich sogar in eine Vertiefung der authentischen Verbindung zwischen Menschen.

So steht am Ende der Bitte das Danke.

    [1] Ein authentisches Anschauungsbeispiel ist die Milchtütenbitte von Iris und Jürgen. Im langsamen Dialog mit laufender Rückkopplung an die Bedürfnisse beider zeigen sie, wie es gelingt, die eigenen Bedürfnisse und die Reaktanz des anderen darauf anzusprechen und – in der Haltung, gegenseitig verbunden bleiben zu wollen und sich die Zeit zu nehmen- die Beziehung in der Akzeptanz der gegenseitigen lebendigen Bedürfnisse zu vertiefen. Die Kunst ist, keinen Vorwurf zu hören, sondern die Selbstkundgabe.

    [2] Axiom der GFK: Bedürfnisse sind universal gültig, insbesondere unabhängig von Person, Zeit und Ort, sonst sind es Strategien.


     

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