Jeder Mensch erfindet eine Geschichte über sein Leben und bindet sich an sie. Er konstruiert ein Bild von sich und riskiert, präsenten Kontakt zu sich und zu anderen zu verlieren. Und so zum Getriebenen seines Egos zu werden.
Schon Aristoteles erkannte, dass durch das Vergegenwärtigen einer Geschichte suggeriert werde, sie habe sich so wirklich ereignet. Die Kunst eines Schauspielers liege darin, den Zuschauer in die Geschichte zu ziehen. So dass er vergisst, dass es sich nicht um Realität, sondern nur um ein Gedankenspiel handelt. Max Frisch ging noch weiter. Er sagte einmal, dass sich jeder Mensch früher oder später eine Geschichte oder gar eine Reihe von Geschichten über sein Leben erfinde. An diese halte er sich. Sogar wenn dies gewaltige persönliche Opfer bedeute. So viele Beweise aber auch gesammelt würden – jedes Narrativ sei eine Erfindung des Egos. Der Thriller „The Prestige – die Meister der Magie“ aus dem Jahr 2006 von Regisseur Christopher Nolan variiert diese Botschaft am Thema der Zauberkunst des 19. Jhd.
Die Fish Bowl Szene zeigt eine frühe Schlüsselstelle des Films:
Die beiden noch jungen Künstler der Zauberei Robert Angier und Alfried Borden sitzen im ausgehenden 19. Jhd. in einem Londoner Theater und schauen sich die Bühnenshow des Zaubers Chung Ling Soo an. Der chinesische Magier auf der Bühne trägt ein Untergewand, das fast bis zum Boden reicht, und darüber ein festliches Übergewand, passend zum traditionellen Hut mit Bommel ganz im Stil des Alten Chinas. Sein weißes langes Haar trägt er in einem geflochtenen Zopf. Er ist gut beleibt, humpelt und zieht beim Laufen ein Bein nach. Er wirkt in seinem hohen Alter schwächlich und gebrechlich. Dann wedelt er mit einem großen Tuch und wie aus dem Nichts stehen Objekte auf der Bühne. Höhepunkt der Show ist es, wie er ein großes Fish Bowl gut gefüllt mit Wasser und einem Goldfisch vor den Augen der Zuschauer scheinbar aus dem Nichts erscheinen lässt.
Angier und Borden rätseln über den Trick des Magiers. Es ist Borden, der dem Dreh auf die Schliche kommt. Er stellt fest, dass der Trick in der totalen Unterwerfung des Zauberers unter seine Kunst auch abseits der Bühne liegen muss. Das Hinken, die Schwäche und Gebrechlichkeit, ja selbst ein ähnliches chinesisches Gewand – wenn auch schlicht in schwarz gehalten – führt Chung Ling Soo auch abseits der Bühne nach dem Auftritt jedem vor, der ihm hier im wahren Leben begegnet. Hinter der gezeigten körperlichen Konstitution vermutet Borden ein perfekt inszeniertes Schauspiel. Angier verfolgt die Spur weiter. Nach der Show ahmt er den Trick nach. Dabei findet er heraus, dass der Magier stark wie ein Ochse sein muss, um das volle Fish Bowl zwischen den Knien zu tragen und von dort aus auf das Podest zu hieven.
Die historisch angelehnte Fish Bowl Szene ist eine Hommage an zwei Magier:
Zum einen an den berühmten chinesischen Magier mit dem Künstlernamen Ching Ling Foo (1854-1922), von dem der „Fish Bowl Trick“ stammt. Zum anderen an den US Magier mit Künstlernamen Chung Ling Soo (1861-1918). Er war bekannt für viele große Illusionen. Als sein berühmtester Trick aber gilt der gefährliche „Bullet Catch“. Mit dem Magier Ching Ling Foo, dessen Show er zunächst nachahmte, trug er öffentlichkeitswirksam eine Fehde aus, bei der es stets darum ging, die Tricks des Rivalen auffliegen zu lassen. Chung Ling Soo starb in London bei einer Vorführung des Kugelfangs. Es bleibt ungeklärt, ob dies ein Unfall oder ein Mord aus Eifersucht war. Erst nach seinem Tod aber wurde publik, dass seine vielleicht größte Illusion seine Persona, seine öffentlich vorgetäuschte Identität als Chinese war.
Im Film sind wie Foo und Soo auch die talentierten Magier Angier und Borden von der ersten Begegnung an Kontrahenten und geraten in einen zunehmend erbitterten Wettstreit miteinander. Sie bespitzeln sich und versuchen bis zum Schluss ihre Tricks zu entlarven.
„The Prestige“ enthält weitere Anspielungen auf die Geschichte um 1890:
The Prestige spielt in der Zeit der Fehde im Stromkrieg, als es um die Marktanteile im noch jungen US Energiemarkt ging. Noch wurden technische Erfindungen nicht verstandenen und als Magie eingeordnet. Der grandiose Erfinder seiner Zeit, Thomas A. Edison (1847-1931), setzte mit General Electric alles auf Gleichstrom. Während Nikola Tesla, nach seiner Trennung von Edison mit Westinghouse Electric beim Aufbau der Stromnetze auf Wechselstrom setzte, um Edisons Monopol zu sprengen. Edison und Tesla – zwei visionäre Genies, die zu Miterschaffern des elektrischen Zeitalters wurden. Doch waren beide Einzelgänger, die dem Ruhm ihrer Erfindungen alles zu opfern bereit waren und sich jeglicher Kritik verschlossen. Geschichte ist: Wechselstrom konnte sich durchsetzen – zunächst.
Was macht das Prestige des Tricks und die Bewunderung des Magiers aus?
Das gibt der Film direkt zu Beginn mit auf den Weg:
- Der Magier zeigt zuerst etwas scheinbar ganz Gewöhnliches. Er bittet Zeugen, das Objekt genau zu inspizieren, damit sich der Zuschauer von der Gewöhnlichkeit überzeugen kann.
- Dann zeigt er den Trick. Mit dem Objekt geschieht etwas Außergewöhnliches.
- Sucht man nach dem Geheimnis, wird man es nicht finden. Denn auf das Entscheidende hat man keinen Fokus, schaut nicht hin.
- Um die Illusion [*] perfekt zu machen, wird die Geschichte weitergeführt. Man hat z.B. etwas verschwinden lassen und bringt es wieder zurück.
Wenn ein Zaubertrick aufgelöst bzw. durchschaut wird, verliert er seine Wirkung. Das Publikum im 19. Jhd. ließ sich gern verzaubern von den Illusionen vielzähliger Magier. Dazu galt es aber unbedingt, den Schein des Unerklärlichen zu bewahren. Das Geheimnis beeindruckt nicht. Den Trick galt es – bis in den Tod hinein – zu schützen. Dem Ruhm durch unenthüllte Tricks war alles andere unterzuordnen. Heute, da man nur einen kurzen Internet Klick von der Enthüllung jedes Tricks entfernt ist, hat die Magie viel von ihrem Zauber verloren und kann kaum noch eine Geschichte inszenieren. Zauberei ist im Wesentlichen etwas für Kindergeburtstage geworden. In „The Prestige“ ist das anders…
Kampf der Egos: Magie wird bitterer Ernst und die Geschichte immer düsterer…
Magier spielen ihre Rollen. Der erbitterte Wettlauf um die ultimativen Tricks und dem Vermeiden jeder Enthüllung wird zunehmend abgründiger und endet im Tod eines Protagonisten. Dabei herrscht Konkurrenz, gnadenloser Wettbewerb, in dem Menschen Scheinidentitäten annehmen, in dem jeder gegen jeden seine eigenen Interessen verfolgt. Jeder will so sein Ego auf Kosten des anderem durchsetzen als würde nicht für jeden genug Ruhm zur Verfügung stehen. Denn „getrickste“ Narrative über die Vergangenheit bewahren hier mehr den Schein als im Einklang mit sich selbst und anderen zu stehen.
Die Egos sind getrieben von Wettbewerb um mehr Anerkennung, abhängig von der öffentlichen Meinung. Dabei geht ihnen verloren, was Menschen und soziale Gemeinschaften ausmacht. Nichts bleibt von der wahren Magie des Schenkens, die die Herzen verzaubert und erwärmt. Wo man sich einen Moment schenkt, der dem Beschenkten Wert zumisst, so dass der es offen auch in sein Herz nehmen kann. Und wo das Geben selbst eigenen inneren Reichtum im Herzen erzeugt. Nur im Bezug mit dem eigenen Selbst und in Verbindung mit dem anderen, wird das Leben authentisch und echt. Die Grenze zwischen Geben und Nehmen verwischen im Einssein der Verbindung. In der Glückseligkeit der Präsenz löst sich jede Alltagsidentität, jedes Ego, für den Moment völlig auf. Man verzaubert sich gegenseitig. Und was dann passiert ist echte Magie…
[*] Eine Illusion ist eine Selbsttäuschung durch falsche Deutung erlebter Sinneswahrnehmungen. Der durch den verborgenen Trick erzeugte Effekt durch unerfüllte Erwartungen, schafft Unruhe. Um durch Erklärungen wieder für Kohärenz und Ruhe zu sorgen, werden Selbsttäuschungen aller Art erzeugt. Illusionisten verwenden bewusst psychische Täuschungen, um Verblüffung, Staunen und Verwunderung zu erreichen.
Im Kontrast zur Illusion stehen Halluzination und Wahn. Auch eine Halluzination wird zwar als Sinneseindruck erlebt, die Täuschung geht aber nicht von einer äußeren Reizquelle aus. Wahn wiederum beruht nicht auf Wahrnehmung, sondern auf einer Fehlbeurteilung der Realität, an der als Gewissheit festgehalten wird.