0621 | 44596656 info@ruhl-consulting.de

Lerneinheit Hirnforschung – Von Implikationen auf die Persönlichkeit

von Okt 15, 2018Blogs

Wie prägen genetische, vor- und nachgeburtliche Faktoren Persönlichkeit und Psyche?  Welchen Beitrag liefert die Hirnforschung und das Modell der Persönlichkeit von Gerhard Roth? Welche Implikationen folgen daraus für uns?

Welche Faktoren prägen die Persönlichkeit?

Der Mensch ist von Natur mit Phantasie und Spielfreude begabt und dazu bestimmt, sich zu bilden und zu entwickeln. Er besitzt viele Potenziale. Seine Persönlichkeit formt sich über Erziehung, Bildung, Ausbildung, Lesen, Zuhören, Nachdenken, Diskutieren, Abschauen, Ausprobieren etc. Welche Faktoren die Entwicklung der Persönlichkeit eines Menschen – bzw. seine Psyche als der Ort menschlichen Denkens und Fühlens – prägen, war lange Streitpunkt der Disziplinen.[1] 

In der Medizin geht man heute davon aus, dass sich Körper und Geist (Psyche) gegenseitig beeinflussen und Wechselwirkungen von Anlagen und Umfeld die Persönlichkeit prägen, v.a.

  • genetische Faktoren
  • vorgeburtliche physiologisch hormonelle Einflüsse der Mutter
  • frühe nachgeburtliche Einwirkung der Umwelt, v.a. frühkindliche Bindungserfahrungen/ Sozialisierung in den ersten 3 Jahren
  • spätere Erfahrungen und Einflüsse des sozialen Umfeldes

 

Was in Persönlichkeit und Psyche ist veränderbar – die drei Hirnareale

V.a. die Neurobiologie ist an den Grenzen mit anderen Disziplinen zu neuen Erkenntnissen gelangt. Das Hirn nimmt 11 Mio. Bits pro Sekunde auf, kann aber nur 20-40 Bits bewusst verarbeiten. In entspannter Stimmung lässt es die Welt hinein und nimmt mehrere Dinge auf unterschiedlichen Ebenen parallel auf. Unter Stress hingegen blendet es Seitenreize aus und fokussiert die bewusste Wahrnehmung radikal. Für das genauere Verständnis der Funktionsweise des Hirns hilft es, sich die Evolution unseres Gehirns in 3 Arealen vor Augen zu halten:

 

  • Reptilien-/ Stammhirn: Es steht am Anfang von vor ca. 280 Mio. Jahren. Es umfasst unbewusste Reflexe, Instinkte, hormonelle Steuerung und Erregung. Hier wird existenziell das Überleben gesteuert.
  • Limbisches System/ Zwischenhirn: Es entwickelte sich in drei Ebenen vor ca. 165 Mio. Jahren. Es umfasst Stimmungen, Gefühle, Bedürfnisse, Empathie, Gewissen, Moral und Ethik und ist die Instanz, die die Persönlichkeit stark bestimmt. Hier findet erstes Lernen durch Erfahrung statt. Wenn wir etwas denken oder fühlen, bewertet es im Bruchteil einer Millisekunde, ob es für uns gut, schlecht oder egal ist. Es reagiert so auf alle inneren Bilder, Gedanken und Gefühle und sendet an das Stammhirn Befehle, Glücks- oder Stresshormone auszuschütten. So dass wir uns gut fühlen oder dass das Alarmsystem (Amydgala) des Gehirns anspringt und das Reptilienhirn aktiviert.
  • Neocortex/ Großhirn: Erst vor ca. 7 Mio. Jahren entwickelte sich dann die Großhirnrinde. Sie ist in linke und rechte Hirnhälfte geteilt. Beide bevorzugen unterschiedliche Methoden der Verarbeitung von Information. Die linke fokussiert rationale, sprachliche, analytische, zeitlich lineare und logische Prozesse – die rechte ist eher ganzheitlich, bildhaft, kreativ, intuitiv, räumlich im Moment, emotional und körperlich orientiert. Der präfrontale Hirnlappen im vorderen Teil befähigt uns zu einer höheren Art des Denkens und Fühlens als es Tieren möglich scheint. Er ist für Denken, bewusstes Erleben, Sprache und weitere kognitive Prozesse zuständig. Es ist die höchste Hirnfunktion des Menschen, die ihn in die Lage versetzt zu planen, abstrakt zu denken, Instinkte und Impulse zu regulieren.

Vier Ebenen Modell der Persönlichkeit und Psyche von Roth

Auf Basis der Erkenntnisse hat Gerhard Roth das Vier Ebenen Modell der Persönlichkeit und Psyche entwickelt.[2] Es fokussiert auf die drei limbischen Ebenen, die nonverbale Kommunikation steuern – Mimik, Stimmlage und Körpersprache – und die präfrontale sprachlich-rationale Ebene. So betont das Modell den emotionalen Bezug nichtsprachlichen Ausdrucks.

  • 1. Ebene (untere limbische Ebene – Hypothalamus, zentrale Amygdala, vegetative Zentren des Hirnstamms): Das Reptilienhirn steuert die Lebenserhaltung, biologische Funktionen und die Erfüllung primärer körperlicher Bedürfnisse. V.a. also unbewusste, angeborene Reaktionen und Antriebe. Sie ist weitgehend genetisch und durch vorgeburtliche Einflüsse bedingt. Sie bildet das Temperament, das wesentlichen Einfluss auf das Verhalten hat, jedoch kaum durch Erfahrung, Erziehung oder willentliche Kontrolle zu beeinflussen ist.
  • 2. Ebene  (mittlere limbische Ebene – basslaterale Amygdala und mesolimbisches System, Zwischenhirn): Sie basiert stark auf vorgeburtlichen und frühkindlichen Erfahrungen und Bindungen. Diese Sozialisation prägt das Selbstbild und Verhältnis zu anderen, ohne dass wir uns an die Lernerfahrungen aus dieser Zeit bewusst erinnern. Durch die emotionale Konditionierung verbinden wir intensive Gefühle mit bestimmten Situationen, was als unbewusstes System der Motivation bzw. Belohnung und Bestrafung wirkt.
  • 3. Ebene (obere limbische Ebene – prä-/ orbitofrontaler, singulärer und insularer Cortex, Großhirn): Sie bringt unsere Persönlichkeit in bewusstem Lernen durch emotionale Erfahrungen mit unserer Umwelt in Einklang und sorgt für die Anpassung an gesellschaftliche Strukturen. So ist sie durch neue Erfahrungen veränderbar. Damit verbunden sind Ausbildungen von Rücksicht, Empathie, Geduld, Durchsetzung, Zielstrebigkeit etc., die ungefähr im Alter von 3 beginnen und erst mit 18-21 Jahren ausgereift sind. Sie verortet unser Körpergefühl sowie Empfindungen von Schmerz.
  • 4. Ebene (Neocortex kognitiv sprachliche-rationale Ebene): Sie enthält die verbale Kommunikation als Grundlage des rein sachlichen Denkens (Gefühle werden vom limbischen System hinzugefügt). Unsere Maschine zur Problemlösung ist eine Kraftquelle, dazu designt, uns unsere Fragen zu beantworten. Diesen Vorgang nennt man: Reden mit sich selbst. Denken. Bewusste Erfahrung und Wissen werden nur hier erworben. Es wird geprüft, abgewogen, entschieden, geplant. Negative Fragen liefern negative Antworten. Stärkende Fragen liefern Lösungen. Und was sich erst einmal denken und aussprechen lässt, das lässt sich auch tun. Die 4. Ebene kann durch das limbische System stark beeinflusst werden. Sie hat selbst aber nur einen bescheidenen Einfluss auf dieses. Und doch: Das Mensch ist Schöpfer seiner Wirklichkeit. Das Hirn lernt immer dazu. Verändern sich die Gedanken, verändert sich viel. Denn Gedanken sind Anweisungen für an das Unterbewusstsein.

Was heißt das konkret für die Persönlichkeitsentwicklung?

Die Persönlichkeit eines Menschen ist aus mehreren Ebenen aufgebaut, die sich zu unterschiedlichen Zeiten in der individuellen Entwicklung ausbilden, andere Dynamiken mit sich bringen und unterschiedlich stark zu beeinflussen sind.

Auf der 1. Ebene des Temperaments haben Menschen Erfahrungen gemacht, dass sie sich, wie sie sind, nicht richtig fühlen. So kann die Erlaubnis, so sein zu dürfen, wie man im Kern ist, eine Befreiung sein und gesunde Entwicklung anstoßen. Gegen sein Temperament zu arbeiten macht wenig Sinn. Es gilt, sein Selbstwertgefühl zu entwickeln, sich mit seinen Stärken anzuerkennen und Ergänzungen zu stärken.

Auf der 2. Ebene der Prägungen geht es um frühkindliche Erlebnisse, die nicht bewusst erinnert werden. Daher lässt sich nicht direkt an ihnen anknüpfen. Zudem ist bei sehr negativen Erfahrungen sowie Traumata und ihren Folgen eine therapeutische Begleitung angeraten.

Die 3. Ebene der Sozialisation in gesellschaftliche Strukturen, ist das Arbeitsfeld des Coachings. Es umfasst Formen des Umgangs und der Kommunikation sowie Faktoren wie Selbstvertrauen, intrinsische Motivation, Fähigkeit zum Kompromiss, unsere Wahrnehmung, Werte und Moral.

Die 4. kognitiv sprachliche Ebene der Reflexion ermöglicht Bewusstwerdung. Die Selbsterkenntnis ist der Weg, der die Veränderung ermöglicht. Da unsere Persönlichkeit sich auf den drei limbischen Ebenen entwickelt und die 4. Ebene diese kaum beeinflussen kann, hat es aber wenig Wirkung, isoliert auf sprachlicher Ebene am rationalen Denken anzusetzen.

Nun gilt gerade im beruflichen Kontext ein überhöhtes Gebot der Logik und des Verstandes. Rational ist die Realität in Gänze nie abzubilden. Wie hoch der IQ auch sei: Unsere Kapazität zur Aufnahme und Verarbeitung der verfügbaren Informationen ist begrenzt. Methoden, die am limbischen System ansetzen und mit Emotionen, mentalen Bildern und der Wahrnehmung des Körpers arbeiten, sind vielen aber suspekt.[3] Der Verstand sucht nämlich nach vertrauten Mustern, um daraus seine Wirklichkeit aufzubauen, die Entscheidung und Handeln ermöglicht. So wählt er aus der Fülle die Infos aus, die bestehende Überzeugungen, Erwartungen und Ziele bestätigen. Handeln, Denken, Fühlen sind abhängig von dieser Auswahl.

Persönlichkeit entwicklt sich mit Emotionen und Embodiment!

Im Langzeit Gedächtnis werden gleichzeitig erlebte Emotionen, Kognitionen und Aktionen (Fühlen, Denken, Handeln) als Programm und Systembaustein der Persönlichkeit hinterlegt. [4] Das System stabilisiert sich selbst durch selektives, bestätigendes Feedback. Um es zu stören, muss negatives Feedback zu ihm durchdringen. Wenn das passiert, dann kommt das System meist aus der emotionalen Balance. Es ist im Widerstand und wehrt sich gegen die schmerzvolle Störung. Den Schmerz unter Schuldzuweisung, Rationalisieren oder Dissoziieren zu verbergen, ist ein Selbstschutz, der aber die Persönlichkeit unstimmig macht. [5] Zur positiven Auflösung braucht es neue stärkende Gedanken, die in der Tiefe wirken und wir in uns als Person immer mehr stimmig werden lassen. Es lässt sich dann doch auf neue Erfahrung und Veränderung ein.

Der Weg zum neuen Bewusstsein geht über das Körpergefühl, Selbstempathie, über Bewusstsein und Achtsamkeit im Hier und Jetzt. Nur so können wir bewusst in Kontakt mit unseren Gefühlen und lebendigen Bedürfnissen kommen. Diese annehmen, wie sie sind und würdigen, so dass sie sich auflösen können und sich auch der Stress im Reptilienhirn wieder legt. Emotionale Energie sind der Motor psychischer und sozialer  Entwicklung,[6]  die kognitive Ebene aber transformiert wie im Mentaltraining die Kraft in die zielführende Richtung in die Freiheit.

 

[1] Vgl. Roth, Gerhard / Ryba, A. (2018): Coaching, Beratung und Gehirn. Neurobiologische Grundlagen wirksamer Veränderungskonzepte, S. 129 ff.

[2] Vgl. Roth, Gerhard (2018): Coaching und Neurowissenschaften. In: Positionen, 1/2018.

[3] Vgl. Damasio Antonio (1994): Descartes‘ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. München, List.

[4] Vgl. Ciompi, Luc (1997): Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

[5] Vgl. Hafner, Bettina | Ritz, Gudula (2020): Irgendwie seltsam…! Über den Umgang im Coaching mit extremen Persönlichkeiten, managerseminare.

[6] Welche gewaltigen Energien gleichgerichtete kollektive Emotionen beinhalten zeigt die Geschichte immer wieder. Vgl. Ciompi, Luc/ Endert, Elke (2011): Gefühle machen Geschichte. Die Wirkung kollektiver Emotionen – von Hitler bis Obama. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Diese durch individuelles Bewusstsein zum Guten hin zu transformieren, ist Aufgabe und Verantwortung der Menschheit.


 

Inspiration durch Impulse

Die digitale Transformation vernetzt und verändert unsere Welt. Wissen wird schnell in z.T. höchster Qualität virtuell geteilt. Einfach nur ins Web gestellt. Es kann so laufend in immer neuen Kontexten neu verknüpft werden. Immer neue Inspiration regt die Reflexion, den Abgleich der eigenen Sinne und soziale Interaktion an. Wir leisten da bewusst einen Beitrag, wo es von der Oberflächlichkeit weg um Vertiefeng der Gedanken geht. Um Lösungen in die Umsetzung zu begleiten. Von Mensch zu Mensch, Face to face. Wir freuen uns, wenn es Sie erreicht.

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie 4x im Jahr unsere neuen Beiträge des letzten Quartals auf einen Blick bequem per Mail.