Referenz Ansprechpartner: Christine Giacometti, Bereichsleiterin Pflege, Perioperative Medizin, 2013-2015
Ziel
Bereits seit mehreren Jahren gab es im Zentral-OP (ZOP) Konflikte zwischen den Operateuren, den Ärzten der Anästhesie sowie den Berufsgruppen im Funktionsdienst (Anästhesie-, OP- und Lagerungspflege). Sukzessive eskalierten diese. Die in einer Befragung der Mitarbeiter ermittelte hohe Unzufriedenheit mit der Kommunikation und Zusammenarbeit im ZOP, die hohe Fluktuation in der OP-Pflege, Reklamationen und sich immer wieder zuspitzende Konflikte zwischen den Ärzten schafften weiteren Druck. Unbearbeitete Konflikte richten auf Dauer Schaden an. Verhärtete Fronten, Missverständnisse in der Kommunikation sowie zusätzliche Stressoren und Belastungen der Mitarbeiter sind die Folge. Dies führt zu Frustration im Arbeitsalltag, Störungen im Prozess und im Leistungsvermögen des Teams. Je weiter fortgeschritten der Konflikt bereits ist, desto schwerer ist es für die Führungen, ihn wieder einzufangen und produktiv zu lösen. So auch in einem Projekt, in dem im perioperativen Leitungsbereich starke Hemmschwellen existierten, die Konflikte über die Berufe und Hierarchien hinweg anzusprechen.
Die Geschäftsführung beschloss einzugreifen und beauftragte das Projekt „Gelebte Wertschätzung im OP“, um eine Klärung der Konflikte und die Teamentwicklung zur Verbesserung des Klimas anzustoßen. Zu dem Schritt bewegte u.a., dass es sich die Bereichspflegeleitung und der Chefarzt der Anästhesie zum gemeinsamen Anliegen machten, das perioperative Leitungsteam zu stärken und die Situation im ZOP verändern zu wollen.
In Abstimmung mit der Geschäftsführung, dem perioperativen Leitungsteam sowie der ärztlichen Leitung der Chirurgie und dem Bereich Personal wurde das Verfahren der “Wünschepost” gewählt, um den Konflikt zu bearbeiten und aufzulösen. Dabei wurde das Vorgehen auf die Einführung der Fachgruppen und die damit entstandenen neuen berufsgübergreifenden Teams im OP synchronisiert: die Operateure, die Anästhesie Ärzte sowie die Berufsgruppen im Funktionsdienst (Anästhesie-Pflege, OP- und Lagerungspflege) wurden fachgruppenspezifisch verknüpft. Parallel zur Strukturveränderung sollte so die Zusammenarbeit positiv gestärkt und der Teamzusammenhalt gefördert werden. Wir übernahmen die Moderation in dem Verfahren.
Umsetzung
Das Projekt startete mit einer genauen Analyse, um die geeigneten Interventionen abzuleiten. V.a. wurden die Ergebnisse der OP-Befragung noch einmal gründlich unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse zeigten sehr konkreten Handlungsbedarf auf. Die erst Hypothese lautete, dass die Fluktuation in der OP-Pflege nicht nur ein losgelöstes Problem der Berufsgruppe ist, sondern hier die Berührung mit anderen Berufsgruppen im ZOP eine wichtige Rolle spielte.
Teamentwicklung ist eng an die Rollenklärung geknüpft und hängt eng mit der Organisation der Abläufe zusammen. Daher wurden Organigramme, Stellenpläne, Verfahrensanweisungen und das OP-Statut gesichtet. Vier strategische Ansätze wurden als zentral priorisiert:
- Perioperatives Leitungsteam: Geplant wurde ein perioperatives Leitungsteam im OP, um unabhängig von den OP-Nutzern stabilisierend auf den ZOP einzuwirken.
- Fachgruppen: Arbeiten in Fachgruppen, die den Mitarbeitern eine „medizinische Heimat“ im ZOP bieten und so fachliche Exzellenz sichern.
- Stärkung OP-Pflege: Ein gestärktes Selbstbewusstsein sollte die Basis für eine bessere Personalgewinnung und v.a. Bindung in der OP-Pflege sein
- Projekt als Chefsache: Breite Einbindung zentraler Leitfiguren im OP und die Anbindung an die Geschäftsführung sind essentiell für den Change.
Zu den vier strategischen Stoßrichtungen der Teamentwicklung wurden neun Inhalte und Aufgaben als Projektgegenstand abgeleitet. Diese wurden mit der Lenkungsgruppe weiter in Arbeitspakete konkretisiert. Dann wurden der Projektfahrplan, -organisation und -kommunikation festgelegt. Die Arbeitspakete wurden entlang des Projektplans verteilt.
Im ZOP wurde die Idee eines perioperativen OP-Management-Teams zur Abstimmung von Abläufen entwickelt. Dieses setzt sich zusammen aus OP-Manager, Leitungen OP- und Anästhesie-Pflege. Es wurde bewusst in die bauliche Weiterentwicklung der Nebenflächen des ZOP sowie in Klausurtagungen investiert. Zudem wurde für den Bereich eine BSC (Balanced Scorecard) erarbeitet, die Entwicklung des erweiterten Führungsteams gefördert u.v.m.
In der OP-Pflege wurde eine neue Leitungsebene eingeführt. Für die drei Teamleitungen wurden zur Einarbeitung gezielt Maßnahmen durchgeführt. Die Teamleitungen verantworten je eine Fachgruppe (mit 15-20 Stellen in der OP-Pflege) und tragen damit deutlich zur Stabilisierung der Situation im ZOP bei. Weiterhin stehen sie zunehmend im Dialog mit den Chirurgen und untereinander in engem Austausch.
In der Lenkungsgruppe wurde das Verfahren der Wünschepost zur Konfliktklärung gewählt, da die Eskalation im ZOP schon sehr weit fortgeschritten war und die Kommunikation erst wieder herzustellen war. Ziel war, die Probleme im ZOP im geschützten Prozess anzusprechen und Konflikte auflösen zu können. Die Wünschepost erwies sich als wichtige Intervention für das perioperative Team in den Fachgruppen und für die Zusammenarbeit im OP. Hieraus sind zahlreiche Vereinbarungen und Maßnahmen entstanden. Auch einige chirurgische Disziplinen brachten sich engagiert ein. Es gibt jedoch auch Bereiche, die den Bedarf nicht anerkannten und sich dem Prozess entzogen.
Die Wünschepost ist ein Instrument aus dem Coaching, das die unterschiedlichen Sichten anerkennt und miteinander in Ausgleich bringt. Es wird zur Konfliktbewältigung eingesetzt, sofern eine echte Bereitschaft dazu gegeben ist. Durch seine klare Struktur ermöglicht es, die Konfliktpartner durch den Prozess zu schützen und den Konflikt ohne direkte Konfrontation beider Seiten miteinander im indirekten Dialog zu bearbeiten (durch stetige Reflexion der jeweils vorausgehenden Schritte). Das Verfahren folgt einem festgelegten Prozess, der im Wesentlichen fünf Schritte beinhaltet:
1.-2. Schritt: Wünsche formulieren und anhören
Um den Dialog zwischen den Konfliktparteien wieder herzustellen, relevante Themen auf den Tisch zu bringen und die Ängste der Mitarbeiter vor einer direkten Konfrontation zu mindern, wird die Form des indirekten Dialogs genutzt: Die Konfliktparteien formulieren nach vorgegebenen Kommunikationsregeln Wünsche an die je andere Berufsgruppe. Dabei kommt es darauf an, dass Menschen wertfrei beobachten und es zulassen, Ihre Emotionen wahrzunehmen und bei sich zu bleiben. Es wird trainiert, die Wünsche der anderen aktiv zu hören, und dabei ein Verständnis und Einfühlung zu entwickeln. Wichtig dabei ist, dass Wünsche stets Lösungsoptionen darstellen, die der Adressat aus freien Stücken erfüllen kann, um die Bedürfnisse des anderen zu beachten.
3. Schritt: Angebot formulieren
Der Wirkfaktor Zeit ist im Verfahren ein ganz entscheidender. Hier sind immer wieder Prüfschleifen durchzuführen, ob die Zeit bereits reif für den nächsten Schritt ist. Ein zu schnelles Vorgehen ist genauso kontraproduktiv wie mangelnde Moderation, die nicht souverän die Prozesseinhaltung sichert. Denn ohne schrittweise Vertrauensbildung steigt die Gefahr, dass die Parteien sich nicht offen aufeinander einlassen.
Im nächsten Schritt werden Angebote formuliert, die man auf die Wünsche geben möchte. Bei der Vorstellung sind die Anliegenträger gefordert, aktiv zuzuhören ohne zu bewerten und wertschätzend wahrzunehmen, was von der anderen Seite gehört wurde und inwiefern schon am Thema gearbeitet wird. Im Verfahren sollte immer ein Angebot formuliert werden, und sei es noch ein so kleiner Schritt auf die andere Seite zu.
4.-5. Schritt: Annahme von Angeboten, Vereinbarungen und Umsetzung
Der Moderator entscheidet anhand von Indizien, wann der Zeitpunkt für den Start des vierten Schrittes gegeben ist. Die Gruppen sollten nun auf der Sachebene zu klaren Entscheidungen kommen, inwieweit sie unterschiedliche Angebote als Lösungsoptionen annehmen. Das (wertschätzende) Ablehnen von Angeboten soll zu diesem Zeitpunkt bereits ohne Schaden möglich sein, wenn es dem Anliegenträger nicht zielführend erscheint. Die Aufgabe ist dann, die Gründe für die Entscheidung so zu transportieren, dass die andere Seite die Chance für die weitere nachhaltige Zusammenarbeit hat, mehr über die Bedürfnisse der Konfliktpartei zu lernen. Gerade Menschen, die im Konfliktfall emotional verletzend werden, finden sich hier in einem Setting außerhalb der Alltagssituation wieder, in dem sie neue Kompetenzen erfahren. Menschen, die in ihrem Verhalten schwer greifbar und wenig verbindlich wirken, können ihr Erleben transportieren.
Ergebnis
Aus einer Berufsgruppen zentrierten Kultur kommend sind am Ende des Projektes substanzielle Erfolge der Teamentwicklung herauszustellen. Dazu mussten einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden. Insgesamt lässt sich nach Abschluss der fast zweijährigen Projektdauer das Bild eines aufreibenden Prozesses der Veränderung nachzeichnen, welcher als Vorbote eines tiefen Wandels gedeutet werden mag.
Die Gefahr eines Rückfalls in die alten Verhältnisse ist gegeben. Im Projekt wurden jedoch Instrumente und Strukturen erarbeitet, um ein Fehlverhalten Einzelner bewusst zu machen, anzumahnen und zu sanktionieren. Diese gilt es, umzusetzen, um das Erreichte zu stabilisieren und weiter auszubauen.
Menschen vergessen leicht, was sie gesagt – nicht aber, was sie gefühlt haben. Dort wo sich Menschen in der Tiefe begegnen, wo Herzenswärme aufblitzt, da bewegt die Wünschepost. Damit die Wirkung des Prozesses im Alltag nicht verpufft, wird der Praxistransfer im Verfahren unterstützt. Untereinander werden Vereinbarungen geschlossenen, fixiert und systematisch an die Nichtbeteiligten kommuniziert. In regelmäßigen Abständen wird gemeinsam über die Weiterentwicklung reflektiert und Nachsorge betrieben.
Referenz
Projekt: Gelebte Wertschätzung im OP, Kantonsspital Aarau
Ansprechpartner: Christine Giacometti, Bereichsleiterin Pflege, Perioperative Medizin
Zeitraum: 2013-2015
Erfahren Sie noch mehr über die Methodik
Ruhl. S./ Ade. K. (2013): Konflikte als Chance im Leitungshandeln- Strategien zur Vermeidung und Bewältigung von Spannungssituationen. In: Klinkarzt 1/2013. S. 7-9.