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Heinz von Foerster und das 18. Kamel: Lösungen außerhalb des Systems

von Dez 15, 2009Impulsgeschichten

Die Metapher vom Mullah und den 17 Kamelen und die Lösung über das 18. Kamel wurde durch den Kybernetiker Heinz von Foerster für Lösungen außerhalb des Systems bekannt.[1] 

Ein Mullah reitet auf seinem Kamel durch die Wüste. Er kommt in eine wunderbare Oase. Dort sieht er drei junge Männer bei einer Herde von Kamelen am Wegesrand sitzen und wehklagen. Er spricht sie an: „Meine Söhne, ihr schaut so traurig drein. Was bedrückt euch?“

Darauf antwortet einer der Männer: „Unser Vater ist gestorben. Allah möge ihn segnen.”
Der Mullah sagt mitfühlend: „Oh, das schmerzt. Das tut mir sehr leid für euch.“
Die Söhne antworten: „Ja, aber das ist nicht alles. Er hat uns 17 Kamele vererbt. Die sollen wir unter uns aufteilen.”
Angesichts der prächtigen Kamelherde lobt der Mullah: “Da könnt ihr Allah und eurem verehrten Vater danken, euch ein solches Erbe hinterlassen zu haben.”
Der älteste der Brüder stimmt zu: “Ja, wir sind dankbar für das Erbe. Doch das Vermächtnis unseres Vaters lässt sich nicht vollziehen.“
“Warum nicht?”, will der Mullah wissen.

“Nach dem Testament geht die Hälfte der Kamele an den Ältesten, der Mittlere bekommt ein Drittel und der Jüngste soll ein Neuntel der Kamele bekommen. Und das ist bei 17 Kamelen nicht zu machen. Wir können doch kein Kamel teilen! Daher sind wir verzweifelt. Wir wissen nicht, wie wir den letzten Willen des Vaters erfüllen sollen.”

Der Mullah blickt einen Moment zum Himmel. Dann sagt er: „Dann nehmt doch für den Moment mein Kamel dazu“. Die Söhne wollen sich zuerst weigern. Doch der weise Mullah besteht darauf.

Siehe da, was das 18. Kamel bewirkt:

Von den jetzt 18 Kamelen bekommt der älteste Bruder die Hälfte, also 9 Kamele. Der mittlere bekommt ein Drittel, also 6 Kamele. Und der jüngste Bruder soll ein Neuntel, also 2 Kamele. So, bleibt am Ende genau ein Kamel übrig. Es ist das 18. Kamel des Mullahs; er nimmt es zurück, steigt wieder auf und winkt den glücklichen Brüdern zum Abschied “Salem Aleikum” zu…

Heinz von Foerster und der Blick auf Lösungen außerhalb des Systems

Jede Wahrnehmung von Wirklichkeit ist ein Stück weit von den eigenen Erfahrungen geleitet, die auf die Gegenwart wirken. So konstruieren wir unsere Wirklichkeit. Die eingeschliffenen Muster führen dabei schnell dazu, dass wir in der Krise den Blick für neue Lösungen verlieren. Die meisten Probleme und Konflikte aber lassen sich im bestehenden System nicht konstruktiv lösen. Im Gegenteil: gleiches Denken führt zu immer mehr gleichen Resultaten. Wir benötigen einen Sprung aus dem System heraus, wie Heinz von Foerster vor Augen führt, um neue Wege und Lösungen zu schaffen.

Zunächst scheinen Probleme und Konflikte unlösbar – wie das Problem von Heinz von Foerster um die 17 Kamele. In solchen Situationen kann eine Krücke helfen, ein neues Denkmodell. Ein neuer Denkrahmen kann helfen, über die Grenzen des bisherigen Horizonts hinaus zu denken. Eine kleine Variable im Gesamten zu ändern, um der Lösung näher zu kommen. Einer Lösung, die außerhalb des bisherigen Systems liegt. Wenn wir temporär so tun so als ob und das 18. Kamel zufügen, dann ist die Lösung für den gemeinsamen Nenner überraschend einfach. Nimmt man das 18. Kamel auch nur als So als ob– Impuls, dann findet sich eine Lösung. Ohne dauerhaft von der Krücke – dem 18. Kamel oder seinem Reiter – abhängig zu werden.

Der entscheidende Schritt zur Lösung wurde dabei auf der emotionalen Ebene getan: Ein Außenstehender wurde um Hilfe gebeten. Man wollte nicht um das Erbe streiten, es nicht zerstören, sondern im besten Sinne des Vaters eine Lösung finden. Das bringt die entscheidende Wendung ins System. Ein Königsweg der dialogische Konfliktlösung, um aus dem Dramadreieck auszutreten, das nur zur weiteren Eskalation des Konflikts oder gar zum Beziehungsabbruch am Ende der Diskussion führt… [2] Und siehe: Wenn einer, der vermeintlich nichts mehr tun kann, andere um Hilfe bittet, erlöst er sich selbst aus seiner Ohnmacht.

 

[1] Nach Segal, Lynn (1988): Das 18. Kamel oder Die Welt als Erfindung. Zum Konstruktivismus Heinz von Foerster, München, Piper.

[2] Vgl. Bohm, David (2017): Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Klett-Cotta, 8. Auflage.

Es gilt, nicht der Gefahr des Ja-Aber-Spiels und damit dem Austausch von Argumenten zu verfallen, wenn man die Bedürfnisse auf den Tisch bringen will. Sondern selbst geklärt, die eignen Bedürfnisse einen Moment hinten anzustellen und die Bedürfnisse des andern empathisch in den Blick zu nehmen. Um sich aufrichtig mitteilen zu können, ist zunächst Empathie für die Bitte zu geben. So dass der Bittende die Sicherheit bekommt, gesehen und gehört zu werden. Zu zeigen, dass man die Bitte gehört hat und welche empathische Vermutung zum Wozu – als Frage oder Konjunktiv formuliert – man dazu hat.

 

7. Niemand kann Empathie geben, bevor er nicht selbst Empathie bekommen hat

Eine konkrete Bitte ist eine Strategie, die zunächst die Bedürfnisse des Fragenden in den Blick nimmt. In der GFK ist die Bitte nur verstehbar, wenn sie in Zusammenhang mit den dahinter stehenden Gefühlen und Bedürfnissen geäußert wird. Wer eine Bitte äußert will etwas ändern. Die Gewaltfreie Kommunikation kennt unterschiedliche Arten von Bitten auf Ebene der Strategie. Ihr Fokus liegt dabei darauf, in Verbundenheit miteinander zu sein.

  • Handlungsbitten: sind Bitten um eine bestimmte Handlung oder um ein inhaltliches Feedback (oft um zu schnellen Lösungen zu kommen)

  • Beziehungsbitten: sind Bitten um eine einfühlsame Reaktion, um eine Mitteilung, was beim anderen angekommen ist oder wie es ihm damit geht, was er dabei empfindet. Es geht dabei als darum, dem Fühlen Raum zu geben.

Es git zunächst, das Bedürfnis des Bittenden hinter seiner Bitte genauer zu ergründen. Emphatische Vermutungen dürfen dabei nicht auf Gedanken abstellen, sondern das Fühlen adressieren. Schnell werden im Eifer des Gefechtes Gefühle mit Gedanken oder gar Vorwürfen verwechselt. Das aber zerstört jeden Kooperationswillen. Selbst wenn eine Handlungsbitte geäußert wurde, kann es sein, dass der Anfrager das Nein nicht in der Sache, sondern (1.) auf der persönlichen Ebene hört, als Absage an die Beziehung. Und dass er (2.) so in seine Bedürfnisse verstrickt ist, dass er kein Ohr für die Antwort hat und ein Nein (noch) nicht empathisch hören kann. Dann war die Fähigkeit offen mit einer Antwort umgehen zu können, nicht gegeben.

Eine echte Bitte im Dialog muss mit einer offenen Entscheidung – ja oder nein – umgehen können, sonst ist es keine. Dann braucht der Antwortende nicht mit einem Nein und seinen Bedürfnissen anfangen. Vielmehr gilt es nun erst einmal, um die Beziehung zu halten, die eigenen Bedürfnisse einen Moment zu parken und die Bedürfnisse hinter der Bitte in den Blick zu nehmen. Der Bittende braucht so lange Einfühlung, bis er sich entspannt hat. Die Zeit zum Nachspürenlassen, ob es im Hier und Jetzt gut ist, Zuhören, Raum halten. Wenn der Bittende in seinen Konflikt nicht so reflektiert ist, sich selbst Einfühlung zu geben, braucht er die Empathie des Zuhörers.  Sich auf der Ebene seiner Bedürfnisse gehört zu fühlen, lässt spüren, dass ich dem anderen wichtig bin. Menschen sind oft erst in der Lage, empathisch auf die Bedürfnisse anderer zu reagieren, wenn sie selbst Empathie bekommen haben.

 

8. Empathisch Zuhören bevor man sich aufrichtig mitteilen kann

Marshall B. Rosenberg erkannte: „Empathisch mit dem Nein des anderen zu sein, schützt uns davor, es persönlich zu nehmen.“ 

In der GFK gibt es keine Abkürzung als sich in die Bedürfnisse beider Seiten einzufühlen. Das ist das, was in Menschen lebendig ist. Ein Ansatz Nein zu sagen und gleichzeitig in der Verbundenheit zu bleiben, ist daher, nicht nur das eigene Nein gut zu erklären, sondern sich auch die Zeit zu nehmen, eine andere Strategie im Hier und Jetzt mit dem Anfrager zu entwickeln. Solange gemeinsam einen Weg zu erkunden, wie die dahinterliegende Bedürfnis beider Seiten erfüllt werden können. Immer wieder offen nachfragen, was der andere verstanden hat, wie es ihm damit geht und was er braucht. Hier sind mitunter mehrere Runden zu drehen, die gegenseitigen Bedürfnisse zu spiegeln und eine gemeinsame Synthese zu finden. Diese Aufarbeitung im offenen Dialog kann Zeit benötigen, die nicht immer da ist. Sie hat das potenzial die Verbundenheit trotz des initialen Neins zu stärken.

Auf Ebene der mit der Bitte vorgeschlagenen Strategie gibt es kein Commitment. Das muss aber nicht heißen, dass es keine andere gemeinsam getragene Lösung gibt. So gesehen bleibt es beim autonomen Nein zur anfänglichen Bitte, die nicht für beide Seiten stimmig ist. Aber der Dialog endet immer mit einem Ja zur Verbindung  durch achtsame Anerkennung der Bedürfnisse aller Seiten. Im dialogischen Austausch selbst liegt dann eine neue tiefe Beziehungerfahrung. Statt im Widerstand und In Negativität zum Nein bzw. zur Bitte zu sein, wird kein Leid erschaffen, sondern es entsteht eine höhere warme Herzensenergie, indem beide miteinander mit ihrer Lebendigkeit in Kontakt kommen.

 

9. Umgang mit Blockaden

Gehört zu werden im Anliegen schafft Öffnung auch für Anliegen des anderen. Selbst wenn ich diese Verbundenheit will, sich gegenseitig in seinen Bedürfnissen zu sehen und Lösungen zu finden, ist das nicht immer sofort möglich:

  • Ich bin selbst nicht in meiner Kraft und in der Lage mich auf den Klärungsprozess einzulassen. 

  • Man hat sich in ein Ja-Aber-Gefecht mit Urteilen, Drohung, Schuldvorwürfe und Urteile so- verfahren, dass im Moment nicht auf die Ebene der Bedürfnisse vorzudringen ist. Obwohl im Grunde jeder nur darum kämpft, mit seinen Bedürfnissen gesehen zu werden.
  • Die Beteiligten brauchen Zeit zum Nachspüren, bevor die gemeinsame Lösung sich entwickeln kann.

Bei solchen Blockaden hilft erst einmal der Ausstieg aus der Situation mit ehrlichem Bedauern und Dankbarkeit für die Ehrlichkeit. Für den Moment tritt jeder für sich ein und man lässt die Differenz stehen ohne sie persönlich zu nehmen. Ein Wiederanschließen ist dann leichter zu einem späteren Zeitpunkt aus Distanz zu den kraftraubenden Emotionen möglich. 

Die Aufrichtigkeit des Neins braucht Empathie für beide Seiten. Das gibt die Sicherheit, einander zu hören und anzuerkennen. Dahinter steck eine enorme Kraft der Verbundenheit: Die Bedürfnisse werden ins Leben geholt und schaffen lebendige Beziehungen. In dieser Haltung fließt jedes Einstehen für sich selbst letztlich sogar in eine Vertiefung der authentischen Verbindung zwischen Menschen.

So steht am Ende der Bitte das Danke.

    [1] Ein authentisches Anschauungsbeispiel ist die Milchtütenbitte von Iris und Jürgen. Im langsamen Dialog mit laufender Rückkopplung an die Bedürfnisse beider zeigen sie, wie es gelingt, die eigenen Bedürfnisse und die Reaktanz des anderen darauf anzusprechen und – in der Haltung, gegenseitig verbunden bleiben zu wollen und sich die Zeit zu nehmen- die Beziehung in der Akzeptanz der gegenseitigen lebendigen Bedürfnisse zu vertiefen. Die Kunst ist, keinen Vorwurf zu hören, sondern die Selbstkundgabe.

    [2] Axiom der GFK: Bedürfnisse sind universal gültig, insbesondere unabhängig von Person, Zeit und Ort, sonst sind es Strategien.


     

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