Die Geschichte vom Sprung in der Schüssel transportiert schön, dass es soziale Leistung jenseits von Perfektion und Hochleistung gibt…
Wenn jemand zu uns sagt, dass wir einen Sprung in der Schüssel haben, dann ist das erst einmal alles andere als ein Kompliment. Die Redewendung will sagen, dass jemand nicht mehr ganz klar bei Verstand ist, nicht ganz dicht. Es liegt nahe, dass hier das Bild einer Keramikschüssel zugrunde liegt: Die Schüssel mit Sprung läuft aus bis sie leer ist – so wie dem anderen attestiert wird, nichts im Kopf zu haben. Nicht mehr zu gebrauchen… Oder?
Die Frage ist, woran machen wir Sinn und Leistung fest? In der Regel wird Erfolg an sichtbare bzw. messbare Ergebnisse geknüpft. An mess- und vergleichbare Leistung. Doch wenn wir nur auf Zahlen, Daten und Fakten blicken, versperren wir uns den Blick auf Qualitäten und Potenziale entlang des Weges. Wir versperren uns den Blick auf Talente, die positive Stimmung, das schöne Ambiente und vieles mehr. Auf die vielen kleinen Unterschiede, die am Ende des Tages einen immensen Unterschied machen. Lassen Sie sich von folgendem Gleichnis zu einem neuen Blick inspirieren:[1]
Sprung in der Schüssel
Eine alte chinesische Frau trug eine Stange über ihren Schultern, an deren Enden zwei große Schüsseln hingen. Eine der Schüsseln hatte einen Sprung. Die andere war makellos und fasste stets eine volle Portion Wasser. Am Ende der Wanderung vom Fluss zum Haus der alten Frau, war die Schüssel mit dem Sprung nur noch halb gefüllt. Zwei Jahre lang ging die Frau täglich mit ihren beiden Schüsseln zum Fluss, um Wasser zu schöpfen. Und jeden Tag brachte sie eine und eine halbe Schüssel Wasser mit nach Hause. Die makellose Schüssel war natürlich stolz auf ihre Leistung. Die Schüssel mit dem Sprung aber schämte sich wegen ihres Makels und war betrübt, dass sie nur die Hälfte dessen verrichten konnte, wofür sie gemacht worden war. Nach zwei Jahren, die ihr wie ein endloses Versagen vorkamen, sprach die Schüssel zu der alten Frau: „Ich schäme mich so, wegen meines Sprungs, durch den den ganzen Weg bis zu deinem Haus Wasser rinnt.“
Die alte Frau lächelte und sprach weise: „Das Wasser im Haus genügt mir. Ist dir aufgefallen, dass auf deiner Seite des Weges Blumen blühen, auf der anderen Seite aber nicht? – Ich habe auf deiner Seite des Pfades Blumen ausgesät, weil ich mir deines Sprungs bewusst war. Nun wässerst du sie jeden Tag, wenn wir nach Hause laufen. In diesen zwei Jahren konnte ich wunderschöne Blumen pflücken und den Tisch damit schmücken. Wenn du nicht genauso wärst, wie du bist, würde diese Schönheit nicht existieren und könnte nicht mein Haus beehren.“
Etwas Gutes aus dem „Sprung in unserer Schüssel“ machen
Das macht uns nicht zur perfekten Maschine, aber zum liebenswerten Menschen. Es ist ein Fehler, sich für sein Unperfektsein zu schämen und sich zu grämen. Sehen wir lieber das Positive, das Menschliche, in unseren vermeintlichen Defiziten. Und erinnern wir uns daran, dass das Kintsugi („Goldflicken“), das Reparieren eines kaputt gegangenen Gefäßes mit Gold – nicht etwa mit einem durchsichtigen einfachen Kleber -, bei den Japanern seit mehr als sechs Jahrhunderten Tradition hat. So wird das Gefäß durch die Reparatur in seiner Geschichte gewürdigt und dadurch noch wertvoller. So wie auch das Leben immer Ganzheit und Bruch zugleich ist. Sind unsere Schwächen nicht gerade die Schattenseiten unserer Stärken? Und wenn jemand meint, wir hätten einen Sprung in der Schüssel, dann können wir uns einfach daran erinnern, den Duft und die Schönheit der Blumen auf unserem Weg zu genießen…
[1] Verfasser unbekannt.
[2] Vgl. auch die Schule der Tiere und die Leistungsformel. Und wenn Sie schwer mit Messbarkeit von Leistung klar kommen, könnten da Wege- bzw. Motto- oder Haltungsziele besser für Sie passen.
[3] Vgl. Nöllke, Mathias (2011): In den Gärten des Managements. Für eine bessere Führungskultur. Haufe, Freiburg; Seligman, Martin (2012): Flourish. Wie Menschen aufblühen. Die positive Psychologie des gelingenden Lebens, Kösel-Verlag, München.