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Lerneinheit Persönlichkeitsentwicklung – Vom Wandel des Selbstbild und DNA Tests

von Sep 9, 2021Blogs

Kann es für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit neue Wege öffnen, seine genetischen Wurzeln zu kennen und sie im größeren Kontext der Zeit und der Generationen zu sehen? Wieso in der Vergangenheit kramen, wenn das Leben im Hier und Jetzt stattfindet?

 

Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit

Vom statischen zum dynamischen Selbstbild

Viele Disziplinen wie in jüngerer Zeit gerade die Hirnforschung interessieren sich dafür, was die Persönlichkeit prägt und verändert. Lebenswirklichkeit ist: Identität und Selbstwertgefühl werden im Kontakt mit anderen, v.a. der eigenen Herkunftsfamilie, geprägt. So nehmen sich Menschen selbst durch und in Rückkopplung mit anderen gerade auch in der Abgrenzung wahr. Das Selbstbild einer Person umfasst die persönlichen Anlagen, Erfahrungen, Gefühle und Bedürfnisse, gerade wenn diese in Worte gefasst und so bewusst reflektiert werden und dabei zunehmend Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Grenzen entstehen. Dabei sind die aus der frühen Kindheit meist unbewusst eingeprägt. Wenn Selbstreflexion wenig ausgeprägt ist und sich mit extrinsischer Orientierung und einem statischen Selbstbild [1] verknüpft, ist es für den Betreffenden ein schwieriger Lernakt, mit persönlicher Kritik, Feedback oder gar einem abweichenden Fremdbild konstruktiv umzugehen.

Derartige Rückmeldung stellen den Kern der Person zutiefst in Frage. Genau dies aber ist das Entwicklungsfeld der Persönlichkeit. Im Ausleuchten blinder Flecken liegt effektives weiteres Entwicklungspotenzial für die Person. Das ist für stark extrinsisch orientierte und wenig selbstreflektierte Menschen mit statischem Weltbild kaum möglich. Um auf diesen Weg zu kommen, brauchen sie vertrauensvolle Beziehungen in ihrem Umfeld. Nicht dass andere Menschen einen Menschen unmittelbar verändern können, aber sie können den Prozess gut begleiten und damit für emotionale Stabilität sorgen.

Die Stellung der Biographiearbeit in der professionellen Entwicklung der Persönlichkeit

Im professionellen Kontext ist hier eine Fülle von Instrumenten entwickelt worden, wie Biographiearbeit, Schattenarbeit, Heldenreise und Familienstellen mit Repräsentanten um nur einige zu nennen.[2] Immer geht es dabei um eine Erweiterung der Perspektive bzw. um einen Fokuswechsel auf die eigene Persönlichkeit. Und auch wenn Selbstreflexion und Weiterentwicklung des Selbstbildes über die Zeit als Bereicherung erlebt werden, bleibt die Veränderung der Persönlichkeit eine Herausforderung. Wie kann es überhaupt gelingen, zu einem etablierten Glaubenssatz über sich selbst Distanz zu gewinnen und ihn gar aufzugeben? Ein Ansatz zur Entwicklung der Persönlichkeit ist es, sich gewisse Haltungen, Eigenheiten, Charakterzüge oder Glaubensmuster bewusster zu erklären, um dann aktiv zu entscheiden, unter welchen Gegebenheiten diese hilfreich sind oder nicht.

An der impliziten Sinngebung setzt Biographiearbeit, die Kontextuierung in Zeit und Raum, an. Die Person trennt durch den Kontextbezug Denk- und Verhaltensmuster von sich, würdigt sie und verurteilt oder verteidigt sich nicht selbst dafür. So nimmt sie Abstand von sich.

Die Bedeutung der eigenen Wurzeln für das Selbstbild

Die Ahnenreihe und die Verbindung zu den letzten Fragen

Erkenntnis ist relativ. Um Identität zu erkennen und seine Persönlichkeit zu bilden, bedarf es, sich Gruppen zugehörig zu fühlen, Grenzen zu ziehen. Unterschiede zu machen. Die Psychologie ist sich einig, dass sich Identität und Gemeinschaften wesentlich durch Sinn erzeugende Geschichten aufgebaut. Große Gemeinschaften können fast nur durch Sinn stiftende Narrative organisiert werden, in die sich Menschen gemeinsam hinein wurzeln. Früher war die Sippe eine Gemeinschaft der Lebenden und der toten Ahnen. Die moderne westliche Gesellschaft hat dazu keinerlei Kultur mehr. Wenn auch in den ländlichen Regionen der sonntägliche Besuch am Friedhof z.T. noch Brauch ist, hört doch auch hier die Verbindung zu den Ahnen spätestens bei den Großeltern auf. Der Herrgottswinkel ist aus den Häusern verschwunden. Dort standen Andenken an die Verstorbenen und so wurde Verbindung mit ihnen gehalten.

In einer Familie, in der es keinerlei familiären Zusammenhalt mehr gibt, sind Ahnen auch nicht mehr bewusst relevant. Die Verdrängung der eigenen Ahnenreihe und Geschichte ist nur kein besonders brauchbarer Weg. Denn wir verdrängen die letzten Fragen im Leben, wo wir herkommen, wo wir hingehen.

An- und eingebunden in den Kraftstrom der Generationen

Der Blick zurück auf die Ahnen, verbindet den Menschen mit seinen familiären Wurzeln. Doch nutzt er wenig, wenn man dabei in der Vergangenheit verhaftet bleibt. Wichtig ist, diesen Blick in Bezug auf die Bedeutung in der Gegenwart zu rahmen. Insofern machte schon Winston Churchill die Erfahrung: „Je weiter man zurückblicken kann, desto weiter kann man vorausschauen.“

Es dauert bis zu vier Generationen, bis sich auf Zellebene gespeicherte Emotionen transgenerativ wieder auflösen, stellt die Journalistin Sabine Bode fest und schreibt in „Kriegsenkel: Die Erben der vergessenen Generation“: Als Friedenskinder ist die Generation der zwischen 1960-1975 Geborenen in den Zeiten des Wohlstands aufgewachsen. Wenn es ihnen aber an nichts gefehlt hat, wieso haben so viele das Gefühl, nicht genau zu wissen, wer man ist, und wohin man will? Es braucht in unserer Gesellschaft die Wiederanbindung an den Kraftstrom der Generationen, damit der Einzelne daraus Kraft und Weisheit für sein Leben ziehen, mit sich in Einklang kommen und ein Gefühl davon bekommen kann, in sich selbst zu ruhen. Gut geerdet, bei sich selbst anzukommen und mit wachsendem Selbstwertgefühl in das eigene Leben zu starten.

 

Gedankenexperiment DNA Journey

Im Zeitalter der Digitalisierung und Big Data scheint es, als werde Unmögliches möglich.

Der Clip des dänischen Reiseanbieter momondo „The DNA Journey“ hat 2016 für Aufsehen gesorgt und wurde bislang über 19 Mio. mal bei youtube geklickt (Stand: 10.9.2021). Es ist ein Appell, uns als globale Bürger zu sehen. Rassismus ist Unsinn. Alle Menschen sind letztlich irgendwie miteinander verwandt.

67 Personen, die stolz auf Land und Traditionen und in ihrem Patriotismus voller Vorurteile gegen andere Länder sind, wurden zu einem ungewöhnlichen DNA Test eingeladen. Der Engländer Jay wie die Französin Aurelie etwa mögen die Deutschen nicht. Die Kurdin würde nie in die Türkei gehen. Der Bengale hat Vorbehalte gegen Indien und Pakistan. Alle Teilnehmer wurden gefragt, ob sie mittels einer Speichelprobe eine Reise durch ihre DNA unternehmen wollten. Zwei Wochen später sind Ergebnisse da. Die Teilnehmer sind nervös. Was dann passiert, rührt die Herzen an: Die Probanden erfahren, dass die Herkunft ihrer Vorfahren anders liegt als gedacht. Die DNA Analyse deckt auf, dass sie mehr genetisches Erbgut anderer Nationen (also auch anderer Kulturen und Religionen) in sich trugen, als sie dachten. Der DNA Test öffnete die Haltungen auf dem Fuße, indem er neu zu denken anregte.

Als Jay etwa von seinem Deutsch-Anteil von 3% erfährt, brennt er nun dafür, nach Deutschland zu reisen.

Veränderung der Persönlichkeit auf dem Fuße

Selbst wenn der DNA Test nur ein Gedankenexperiment und die Probanden nur Schauspieler sind – der Botschaft tut dies keinen Abbruch. Ein kleiner Test mit eigenem DNA Material schafft es in Windeseile, was sonst in der Entwicklung der Persönlichkeit große Mühe bereitet. Nämlich unter die Haut zu gehen, durch Arbeit am blinden Fleck das Selbstbild zu wandeln und den Menschen anzustoßen, unmittelbar zu beginnen, sich und die Welt mit neuen Augen zu sehen. Ein großartiges Ergebnis, das im Kontext eines fehlenden Bewusstseins einer Jahrtausende alten gemeinsamen Menschheitskultur, die simple Botschaft der einen gemeinsamen Menschheitsfamilie neu in dem Bewusstsein erfahren lässt, „dass hat etwas mit mir zu tun“: Wahrscheinlich stammen wir alle von Adam und Eva ab…

 

Chancen und Fallstricke statistischer Testungen

Seit dem Videoclip sind die DNA Tests in die Höhe geschnellt. Die Ahnenforschung mittels Gentest, um mehr über die eigene Persönlichkeit herauszufinden, ist heute ein lukratives Geschäft. Verschiedene Biotechnikfirmen wie iGenea in der Schweiz, der private Anbieter 23andme des Venture Capital Gebers Google etc. locken ihre Kunden mit Billigtests von 99 bis 999 Dollar oder herkömmlichen Test von 5.000 bis 10.000 Euro: Das zugeschickte Test Kit beinhaltet zwei Röhrchen und zwei Wattestäbchen, mit denen man je eine Minute das Innere seiner Wange bearbeitet. Je nach Anbieter und Paket bekommt man dann Wochen später wie im Video ein Ergebnis zur Genkonstellation und Einblicke in seine 23 Chromosomen.

Wirklich seriös ist das nicht, den Kunden mit den Ergebnissen sich selbst zu überlassen: Prozente beschreiben rein statistische Wahrscheinlichkeiten und sagen real nichts über den Einzelfall. Die Aussagekraft der Daten ist dafür gering. Faktisch hat man nach dem Ergebnis nur ein paar interessante Hypothesen mehr. Humangenetiker sagen, dass Gentests zur Ahnenforschung gut mit Horoskopen zu vergleichen sind.

Problematiken sind z.B.

  • Der Mensch erbt verschiedene Abschnitte der DNA von diversen Vorfahren. Und da der Mensch immer gern gewandert ist und es zu Durchmischungen gekommen ist, verteilten sich die Ahnen auf eine so große Fläche, dass es so aussähe, als hätten wir vor rund 3.500 Jahren alle die gleichen Vorfahren gehabt. Das Ergebnis hängt stark von der Datenbank ab und den geografischen Zuordnungen ihrer Einträge.
  • Das Y ist das kleinste Chromosom. Nur Männer besitzen es, Frauen haben statt dessen ein zweites X Chromosom. So vererbt sich das Y-Chromosom stets über die männliche Linie – vom Vater auf den Sohn. Das Y trägt also nur die Information der väterlichen Erblinie. Vor 20 Generationen – also vor rund 500 Jahren – hat jeder Mensch mit zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroßeltern usw. theoretisch (2^20) also über eine Million Vorfahren. Der Blick auf das Y Chromosom beschränkt sich selektiv auf einen einzigen davon – sofern wir dessen Daten kennen. Wird die Datenbank bei einem Mann nach Personen durchforstet, die das gleiche Y besitzen, werden bestimmte Herkunftsgebiete alleine dadurch vernachlässigt, wenn aus diesen bislang keine Daten zum Y Chromosom verfügbar sind.
  • Die mütterliche Erblinie lässt sich über Mitochondrien abbilden. Das gesamte übrige Genom ist eine ständige Mischung, die keiner klaren Analyse zugänglich ist.

 

Risiken und Nebenwirkungen von Big Data und Datamining

Geringe Aussagefähigkeit ist eines. Etwas ganz anderes aber steckt in der Gefahr einer laienmäßigen Über- und Fehlinterpretationen statistischer Datentests gerade im medizinischen Kontext. 23andMe etwa sammelt mit Zustimmung der Kunden Millionen von DNA Datensätzen in ihren Datenbanken. Mit intelligenten Algorithmen werden für die eigene Genkonstellation Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung an Dutzenden von Erbkrankheiten und einer Verträglichkeit von Wirkstoffen ermittelt. Ist man auf dieser Basis dann für einen bestimmten genetischen Defekt prädestiniert, muss das noch lange nicht heißen, dass man auch erkrankt.

Wie geht der Proband aber mit solchen Informationen weiter um, gerade wenn sich für ihn schlechte Prognosen ableiten? Könnte er – alleine durch statistische Auswertungsfehler – zu Kurzschlusshandlungen tendieren, wenn er sich bestimmte Krankheiten zuschreibt? [3] Zudem kann das Thema Datenschutz gerade eines amerikanischen Konzerns schnell eine neue Dimension bekommen. Versicherungen und Arbeitgeber könnten sich sehr für solche Daten interessieren. Dem ist zwar heute gesetzlich ein Riegel vorgeschoben, doch der Kostendruck im Gesundheitswesen lädt zu Kreativität ein…

 

Anmerkungen

[1] Zur Unterscheidung von statischem und dynamischem Selbstbild und der damit verbundenen unterschiedlichen Haltung und Generierung von Selbstwert der Psychologin Dweck vgl. Dweck, Carol (2009): Selbstbild – wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt. München, Piper.

[2] Bereits ein kleines Gedankenexperiment mit einer einfachen Impulsfrage kann Anregung verschaffen, z.B.: Stelle Dir vor, Deine Eltern hätten Dich bewusst als ihr Kind ausgesucht. Welche guten Gründe könnte es dafür geben?

[3] Vgl. hierzu einen krassen Erfahrungsbericht eines Bloggers mit 23andMe: https://www.ctrl-verlust.net/23andme-wie-ich-fur-todkrank-erklart-wurde-und-mich-wieder-gesund-debuggte/.


 

Inspiration durch Impulse

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