Wie kann Dankbarkeit zu einer Quelle für tiefes Glück und Resilienz gegenüber den äußeren Umständen werden? Wie wird sie zum Starkmacher in Stress und belastenden Situationen – für jeden Einzelnen und ganze Teams?
Ein dankbares Leben führen und glücklich sein
Warum ist Dankbarkeit die Haltung des Friedens? Die Sprache der Dankbarkeit mag in der Krise oft wie eine vergessene Fremdsprache sein. Doch Dankbarkeit ist eine unserer wichtigsten Quellen der Kraft und die Grundlage für innere Zufriedenheit. Wenn wir dankbar sind, sind wir in positiv orientiert im Leben. Wir können dann nicht gleichzeitig feindselig, neidisch oder mutlos sein. Dankbarkeit gibt uns die Energie, gerade auch in schwierigen Phasen den Blick auch auf das zu wenden, was trotz allem das Gute am Schlechten ist.
Der Benediktiner David Steindl-Rast sagt in einem TED-Beitrag [1]: „Wer dankbar ist, handelt aus einem Gefühl des Genügens und nicht aus einem Gefühl des Mangels heraus.“ Und er fragt weiter, was ein dankbares Leben ausmacht. D.h. für ihn geht es nicht nur darum, ab und an dankbar zu sein, sondern Dank zu leben. Darin erfüllt sich die tiefe Sehnsucht nach Glück, die allen Menschen gemein ist. Sein Credo ist: Wir sind nicht etwa dankbar, weil wir glücklich sind. Wir sind glücklich, weil wir dankbar sind!
Ist das nicht überraschend?
Für ihn beginnt die Haltung der Dankbarkeit im Bewusstsein unserer Endlichkeit, dass jeder Augenblick des Lebens ein Geschenk ist. Wir haben nichts für diesen Augenblick getan und können nicht kontrollieren, wieviele weitere Momente uns geschenkt werden. Der Augenblick an sich ist einmalig – mit all den Möglichkeiten, die er enthält, und der Gelegenheit, die nicht zweimal anklopft. Oft verpassen wir die Gelegenheit, weil wir durch das Leben hetzen. Oder weil wir vieles als selbstverständlich nehmen und verlernt haben, darüber zu staunen und für die Lebensqualität dankbar zu sein.
Ein Schritt zu einem glückenden, weil glücklichen Leben ist daher, sich in Dankbarkeit für das, was ist, bewusst zu fragen:[2] „Ist das nicht überraschend?“. Die Antwort darauf ist „Ja, natürlich“ – egal wo und unter welchen Umständen die Frage gestellt wird. Solange uns nichts überrascht, gehen wir wie betäubt durchs Leben. Mit der Fragen gehen wir wacher durch die überraschende, kontingente Welt. Dazu gibt er als Lebenskunst für ein glückliches Leben den Dreischritt aus Kindertagen „Stehen – Sehen – Gehen“ mit auf den Weg:
- Stehen: Innehalte, Stoppschilder in den Alltag einbauen
- Sehen: Wahrnehmen, was der Moment bereit hält, sich überraschen lassen
- Gehen: Unser Herz öffnen, in Dankbarkeit genießen
So trägt bewusste Dankbarkeit unabhängig von den äußeren Umständen dazu bei, ein glückliches Leben zu führen.
Dankbarkeit im Team stärken
Was für jeden Einzelnen funktioniert, potenziert sich durch das Phänomen der „emotionalen Ansteckung“ [3] im Team. Was ein einzelner tut (oder nicht tut), kann daher potenziell Auswirkungen auf die Menschheit haben. Worauf wir unseren Blick richten und welche Haltung wir ausstrahlen, hat nicht nur Auswirkung auf uns selbst. Auch ein Team braucht Zeit und Raum, gemeinsam den Dreischritt zu vollziehen. Und zu visualisieren, auf welche positiven Aspekte das Team seine Energie gemeinsam ausrichten will. Diese Punkte können auf einem Plakat an prägnanter Stelle visualisiert werden, bis die Punkte verinnerlicht sind. So fällt es leichter, den Fokus auch in stressigen Momenten auf das zu lenken, was dankbar macht. Natürlich kann das Plakat auch einfach laufend mit Post-its der Dankbarkeit weiter ergänzt werden…
Wir können die Umstände nur bedingt beeinflussen. Doch können wir unsere Haltung immer frei wählen. Und es wie mit allen Dingen ist, auf die wir unsere Achtsamkeit oder unseren Fokus richten, so wächst Dankbarkeit, wenn wir ihr den Raum dazu geben. So wird organisationale Residenz gestärkt.Dazu noch eine Geschichte:[4]
Die Kraft der Dankbarkeit nutzen
In Montreux in der Schweiz wurde Marshall Rosenberg einst von einer Freundin mit einem Hotelier zusammengebracht, der vor seiner Pension ein berühmter Küchenchef war. Auf der Anreise kaufte sich Marshall im Bahnhof ein Magazin. Das Cover zeigte in Großaufnahme ein afrikanisches Kindes mit aufgeblähtem Bauch. Der Leitartikel im Magazin berichtete, wie viele Kinder in diesem Land verhungern. Marshall las den ganzen Weg nach Montreux jedes furchtbare Detail. Dann kam er an und war auf einmal bei diesem unglaublich gastfreundlichen Mann, der ihm den Ehrenplatz am Esstisch in dem Luxusappartement anbot mit herrlichen Blick auf den Genfer See. Mit einem Aperitif in der Hand schaute er auf den See und hatte noch das Bild des afrikanischen Kindes im Kopf.
Er fragte sich: „Wie kann ich in der gleichen Welt wie dieses Kind leben und mit ansehen, dass Millionen Kinder verhungern? Wie kann ich da so ein extravagantes Dinner zu mir nehmen?“ Und während er das dachte, strahlte sein Gastgeber eine so wundervolle Energie aus und freute sich so sehr darüber, all diesen Luxus mit Marshall teilen zu können, dass etwas Erstaunliches passierte: Es war, als ob dieses Kind auf Marshalls Schoß säße und zu ihm sagt: „Genieße es! Wenn Du es nicht genießt, habe ich auch nichts davon. Genieße es so, dass Du auch mir damit hilfst.“
Fülle und Mangel zugleich fühlen und aus seiner Kraft heraus handeln
Wer sich nährt, in dem er bewusst die Schönheit der Welt genießt, tankt die Energie der Liebe und der Fülle in seine Schale. In seiner Kraft ist er in der Lage, sie für andere einzusetzen, die der Fürsorge bedürfen. Das ist keine Rechtfertigung für ein nettes unbekümmertes Leben ohne Gewissen. Sondern eine Aufforderung, seine Energie zu nutzen, die man aus dem Reichtum seines Lebens schöpft, um in Dankbarkeit dem Leben zu dienen und Realität ein Stück weit zu verändern. Leben ist immer nur in Beziehung möglich – darin liegt auch eine Verantwortung. Daran gilt es sich täglich zu erinnern. Marshall Rosenberg schloss aus seinem Erlebnis in Montreux, dass es traurig wäre, wenn er nicht genießen könnte, was ihm vom Leben geschenkt wird. Aber er möchte sich bewusst darüber sein, dass beim Dinner nur ein Teil seines Bedürfnisses nach Nahrung erfüllt wurde.
Sein Bedürfnis nach täglicher Nahrung (ähnlich wie Mandelas Bedürfnis nach Freiheit) wird nie ganz erfüllt sein, wenn noch ein Mensch hungert auf der Welt. Beim Essen genießt er die delikaten Speisen und die besondere Atmosphäre. Und ist zugleich traurig über den Hunger in der Welt. Bei aller Dankbarkeit mochte er diese Traurigkeit nie verlieren. Er wollte beide Gefühle zugleich in sind lebendig sein lassen und daraus Handlung fließen lassen..