Die Untersuchungen von Hans Rosling zeigten, dass wir dazu neigen, die Welt pessimistischer zu sehen, als sie in vielen Bereichen ist. Wie können wir uns vor Pessimismus [1] besser schützen?
Bevor wir uns allgemein mit pessimistischer Sicht auf die Welt beschäftigen, können Sie anhand weniger Fragen hier Ihre eigene Sicht testen (O.K., natürlich sind Sie schon vorgewarnt, dass es um das Thema Pessimismus geht, was das Ergebnis vermutlich verzerren wird…). Also versuchen Sie möglichst unstrategisch aus dem Bauch heraus Ihre Sicht zu äußern.
Schreiben Sie sich Fragenummer und Buchstaben Ihrer Antwort auf:
1.) Wie viele Mädchen absolvieren heute die Grundschule in den Ländern mit niedrigem Einkommen? 2.) In welchen Ländern lebt die Mehrheit der heutigen Weltbevölkerung? 3.) Wie hat sich in den letzten 20 Jahren der Anteil der in extremer Armut lebenden Weltbevölkerung entwickelt? 4.) Wie hat sich die Zahl der Todesfälle pro Jahr durch Naturkatastrophen über die letzten 100 Jahre entwickelt? 5.) Wie viele der einjährigen Kinder auf der Welt sind gegen irgendwelche Krankheiten geimpft? 6.) Weltweit waren 30-jährige Männer durchschnittlich 10 Jahre lang auf einer Schule. Wie viele Jahre haben gleichaltrige Frauen die Schule besucht? |
Richtig sind 1:C, 2:B, 3:C, 4:C, 5:C, 6:A. Wieviele Antworten haben Sie richtig?
Dies sind 6 der 12 Fragen, die Hans Rosling, Professor für internationale Gesundheit in Stockholm und Gründer der Gapminder Stifung – hier im TED Talk -, bis zu seinem Tod 2017 fast 12.000 Menschen in 14 Ländern gestellt hat.[2] Seine Stiftung hat es sich zum Auftrag gemacht, Statistiken verständlich aufzubereiten, v. a. solche, die den Fortschritt zeigen. Denn sein Leben lang wandte sich Rosling gegen eine zu pessimistische Weltsicht. Er zeigte mit seinen Fragen, wie sehr wir von pessimistischen Erwartungen infiziert sind. Im Schnitt nämlich beantwortete – unabhängig von seinem Bildungsgrad – jeder Befragte nur 2 von 12 Fragen korrekt. Die Fragen wurden mehrheitlich pessimistischer beantwortet, als sie sich in der Realität darstellen. Die Befragten tendierten zu einer unrealistisch pessimistischen Weltsicht.
Roslings Erklärung für Pessimismus
Das menschliche Gehirn ist durch die Evolution instinktiv – ohne bewusstes Nachdenken – darauf getrimmt, Gefahren aufzuspüren und ihnen aus dem Weg zu gehen. In der modernen Welt ist diese Vorsicht dahin mutiert, Dramen zu finden. Das wird zur Neigung, Pessimistischem mehr Beachtung zu schenken als Positivem, Dinge zu verallgemeinern, sie negativ zu überzeichnen und schlimmer zu machen, als sie sind. [3] Im Austausch mit anderen werden negative News sofort weitergegeben, die positiven nicht unbedingt. Die Medien, die uns ständig mit spektakulären Schlagzeilen und Berichten über schlimme Ereignisse versorgen, sind nicht zuletzt dafür mitverantwortlich, dass wir pessimistische Erwartungen pflegen. So gehen die guten Dinge eher unter. Sachliche Argumente haben gegen das Gefühlte einen schweren Stand. So dass Entscheidungen oft unter pessimistischen Annahmen getroffen werden.
Bei Ignoranz gegenüber Entwicklungen im Außen ist die Haltung eine durch negative Vorurteile – statt etwa durch Dankbarkeit – bestimmte Vorentscheidung. Pessimisten gelingt es mit ihrer bloßen Anwesenheit, die Stimmung im Raum zu töten. Indem sie Negativität versprühen, schlecht reden, negative Nachrichten weitergeben, ihr Leid klagen, sich beschweren oder kundtun, was sie nicht mögen. Am Ende weiß niemand, was eigentlich nach ihrem Geschmack ist, erinnert sich keiner an eine Freude und ein Glück, von dem sie je gesprochen hätten. Die pessimistische Fixierung und das Ausblenden von positiven Ereignissen, birgt Ansteckungsrisiken. Wie ein schwarzes Loch droht sie alles zu absorbieren. Darunter leidet das Umfeld. Resignation oder Überforderung verbreiten sich. Wohin es Menschen führt, sich selektiv auf alles Schlechte zu konzentrieren, mag man nicht weiter bedenken.
Wie aber kann man sich vor der Ansteckung vor dem Pessimismus schützen?
Es heißt: Jeder ist seines Glückes Schmied. Das Glas ist nicht nur halbleer, es ist auch halbvoll. Wie aber soll man sich von Energieräubern schützen und selbst nicht pessimistisch werden? Den anderen im Konflikt auf seine Negativität hinzuweisen, funktioniert nicht. Das vermittelt nur, du bist nicht o.k. und musst dich ändern. Dagegen verwehrt sich dann der Andere. Das verstärkt sein Muster, denn jetzt hat er erst recht zu beweisen, dass die Welt ein schlechter Ort ist. Ggf. bricht darüber sogar ein Streit aus. Daher kommen positive Naturen häufig irgendwann zu dem Punkt, negativ grundgestimmte Menschen zu meiden und ihnen aus dem Weg zu gehen. An der Haltung der Person ändert das aber genauso wenig wie die Kritik.
Die Frage ist, ob einer pessimistischen Weltsicht auch konstruktiv begegnet werden kann? Und wie man selbst in einer positiven Haltung bleiben kann? Damit ist nicht gemeint, vor der Realität die Augen zu verschließen, sondern klar für seine Haltung einzustehen. Niemand als wir selbst ist für die Gedanken und Gefühle, die in uns – positiv oder negativ – wirken, verantwortlich. Im Laufe unseres Lebens erlernen wir Muster, die sich durch Wiederholungen festigen und automatisieren. Dann braucht es nur noch einen Reiz und wir reagieren impulsiv. Und wir erlauben anderen, uns und unser Wertesystem zu reizen und unsere Knöpfe zu drücken. Die Erkenntnis, dass wir dem anderen nicht ausgeliefert sind, sondern dass wir unser Denken und Handeln bewusst überdenken können, ermöglicht es, uns als Gestalter anstatt als Opfer wahrzunehmen.
Verstand als Friedensstifter nutzen
Dabei helfen rationale Erklärungen. Was ich verstehen kann, dafür kann ich Verständnis haben. Weshalb verhält sich und denkt der pessimistische Mensch so wie er es tut? Sobald wir mit dem Verstand etwas begreifen, kommen wir besser damit zurecht. Erklärungen sind wie Schnuller (engl. pacifier = Friedensstifter). Unerklärliches hat dagegen etwas Verunsicherndes. Ob die Hypothesen richtig sind, ist am Ende gar nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass sie mehr Klarheit geben. Erklärungen ermöglichen, in Distanz zu sich selbst zu gehen und mit dem anderen mitzufühlen, seine unbefriedigten Bedürfnisse hinter seinem Verhalten zu sehen.
Wichtig ist zu erkennen, dass Negativität, wenn auch von außen angestiftet, zuerst einmal in uns selbst geschieht. Durch Innehalten und Reflexion schalten wir den Verstand in ein – sonst von Emotionen beherrschtes – automatisiertes Verhalten ein und wir erhalten Ressourcen, um einen Austritt aus der Negativspirale zu finden. Der Trigger ist noch da, aber durch die Wahrnehmung im Hier und Jetzt verlieren sie deutlich an Kraft. Wir gewinnen Impulskontrolle und das anfänglich negative Gefühl tritt in den Hintergrund. Wenn wir so die Verantwortung für unsere Reaktion annehmen, dann haben wir zugleich auch die Macht, sie zu dämpfen. Wir können dann durch bewusste Intervention den Absprung schaffen, um nicht selbst von der Negativität absorbiert zu werden und ebenfalls negativ zu reagieren.
Empathie als Schlüssel
Empathie ist der Schlüssel, um unser Herz anderen Wesen gegenüber zu öffnen. Wenn wir es schaffen mit dem negativ gestimmten Gegenüber mitzufühlen, verschwindet unser negatives Gefühl. Doch was einfach klingt, kostet Kraft. Um ein negatives Gefühl nicht nur zu überwinden, sondern es sogar in etwas Positives wie Liebe zu verwandeln, brauchen wir emotionale Reife und Übung. Und indem wir in eine positive Haltung zum anderen gehen, ein Stück weit unsere eigenen Bedürfnisse parken, finden wir auch einen Weg, mit Negativität umzugehen, ohne uns selbst daran anzustecken. Das hilft, einen Blick für die Realität zu bewahren, und schützt vor Reaktionen, die man später bereut. Meist gibt es neben dem Schlechten auch sehr Gutes. Empathie ist erlernbar, indem man Gefühle und Bedürfnisse als Schönheit des Menschen anerkennt und zunächst lernt, sie bei sich selbst anzunehmen.