Wie ändert der Mangel an Fachkräften die Verhältnisse? Bekommt Dienende Führung bzw. Servant Leadership Raum? Wird postheroische Führung alte Hierarchien ablösen? Wird die Frage der Haltung die Diskussion um Führungsstile ersetzen? Denn im Kern geht es um den Wandel der Kultur…
Personal – vom Kosten- zum Erfolgsfaktor
Postheroische Führung
Dienstleistung wird von Menschen für Menschen gemacht. Also von Personal, das mit Herz und Seele seine Sache tut. Von Teams, in denen man für sich sorgt und auf sich achtet – müsste das nicht längst die neue Arbeitswelt ausmachen? Ist es nicht die Aufgabe unserer Zeit, das zu erreichen? Kliniken sind heute bereit, in Führungen und in deren Entwicklung zu investieren. Heute kommt es auf deren Können/ Wollen/ Dürfen und v.a. auf das Tun an. Wer Top Medizin erbringen will, braucht feste Teams. Fehlende Kontinuität und Expertise, offene Stellen, hohe Krankenstände und Fluktuation, fehlende Leidenschaft bringen jede Klinik an ihre Grenzen.
Das Management des letzten Jahrhunderts hat mit dem alleinigen Fokus auf Wachstum und Produktivität eine große Baustelle aufgerissen. Die Idee von Kontrolle und Beherrschen ist eine Illusion. Wo mobile Menschen mit einem großen Angebot an offenen Stellen frei in ihrer Entscheidung sind, funktioniert das Diktat nicht mehr. Im Preußischen Militär wurden im 19. Jhd. Chef-, Ober- und Unterärzte (den heutigen Assistenzärzten entsprechend) ausgebildet. Rollen und Hierarchien, die in deutschen Kliniken seit 150 Jahren klar verteilt sind, müssen sich neu gestalten. Stabilität und Produktivität kommen zum Sturz, wo sich Fachkräfte ausgenutzt fühlen, sich als Befehlsempfänger ohne Selbstbestimmung, Freiheit zur Entscheidung und Gestaltung erleben. Den Systemen laufen dann die Mitarbeiter davon. Den Umbruch erleben Klinik gerade.
Weg von alten Hierarchien
Ein Abbau von Hierarchie alleine reicht nicht. Es liegt an den Führungen, ein Umfeld zu kreieren, in dem positive Energie sprüht. Weil der Einzelne sich und sein Potenzial darin entfaltet. Den anderen als Subjekt mit Bedürfnissen wahrzunehmen. In Kommunikation, Informationen, Feedback, Fördern von Stärken und Entwicklung, Sinn geben und Widerstände und Konflikte bearbeiten – darin liegt die Aufgabe von Führung, die freiwilliges Folgen erreicht. Die Forderungen an Führung sind so hoch wie wohl nie. Heroisches hat ausgedient, Mitarbeiter schauen auf Fairness, wie sich Geben und Nehmen ausgleichen. Mit Status ist jenen nicht zu begegnen, die Sinn und Lernen suchen. Systeme, in denen Menschen miteinander interagieren, entwickeln sich frei und autonom.
Hier setzt postheroische Führung [1] an, die sich als Kümmerer für den Mitarbeiter, das Team und für die Organisation sieht. Leitung versteht sich nicht mehr als Herrschaft, sondern als Persönlichkeit, die eine tragfähige, durch Vertrauen geprägte Verbindung zu ihren Mitarbeitern aufbaut. Dabei feiert sie sich nicht selbst, sondern das Team und das Miteinander. Die Führungsphilosophie des Servant Leadership (Dienende Führung) bringt die dafür nötige innere Haltung schön auf den Punkt.
Von den Heroen zum Systemansatz
In der Theorie bildet sich seit den 1980er Jahren ein Denken in systemischen Interaktionen aus. Doch bis heute besteht Nachholbedarf in der Praxis.
ab | Ansatz | Erfolgsentscheidender Punkt |
1920er | Eigenschaft | Merkmale einer Führungspersönlichkeit |
1930er | Verhalten | Vielzahl hierarchisch funktionaler Führungsstile |
1960er | Situation | Situative Führung je nach Kontext/ Person |
1980er | System | Interventionen/ Interaktionen |
Führung wird heute nicht mehr mit statischer Eigenschaften der Persönlichkeit gleichgesetzt, sondern als Interaktion zwischen Führung und Geführtem verstanden. Die Diskussion um wirksame Führungsstile wurde durch den Systemansatz in die Frage nach der Führungshaltung verwandelt.
Dienende Führung
Servant Leadership geht auf Robert K. Greenleaf zurück. 1970 hat er im Aufsatz The Servant as Leader – nicht etwa The Leader as Servant – sein Verständnis formuliert. Greenleaf ging es weniger um ein geschlossenes Konzept, Modell oder Techniken. Vielmehr wollte er eine Diskussion über Dienen und Führen, Serving and Leading, anregen. Obwohl die neutestamentarischen Gedanken von Lukas 22,24-28 auf der Hand liegen, war der Ansatz originär nicht von christlichen Überlegungen vom Dienen und Herrschen geprägt.[2]
Ab den 2000ern wurden Greenleafs Gedanken vertieft. Die Gruppe um Dirk van Dierendonck generierte ein Metamodell für dienende Führung. In der Folge wurde es empirisch und systemtheoretisch weiter ausgeleuchtet.[3] Dienende Führung bedeutet, Führung an den Bedürfnissen, Motivationen und Zielen der Geführten und der Organisation auszurichten. Der Servant Leader versteht Führung als Dienstleistung für andere, um diese stark zu machen. Und damit ist es ein Gegenentwurf zum klassischen Vorgesetzten. Der ideale Servant Leader ist Primus Inter Pares und erfüllt hohe Forderungen an seine moralische Reife:
Dienende Führung in 8 wichtigen Dimensionen
- Empowerment – Vertrauen, Verantwortung und Entscheidung übertragen
- Verantwortung und Wertschätzung für Leistung und Ergebnisse
- Standing Back – Anerkennung für Erfolge werden dem Einzelnen bzw. Team zugeschrieben
- Demut, divergente Perspektiven und Fähigkeiten zu schätzen und Kritikfähigkeit
- Authentizität und Kongruenz auf Basis eigener Selbstwahrnehmung
- Mut, neue Ideen und Wege zu gehen und so zu neue Lösungen zu kommen
- Versöhnlichkeit durch positive Fehlerkultur
- Eigeninteressen hinter die Bedürfnisse und Wohlergehen der Vielen stellen
Dienende Führung zielt auf die Beziehungen in Teams und positive Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Motivation, Gesundheit, Bereitschaft zur Leistung und Engagement. In patriarchalischen Kontexten kann die Haltung als mangelnde Durchsetzung missverstanden werden. Das System ist also in einem Kulturprozess auf die Haltung vorzubereiten. Und der Generationenwandel fordert genau dies. Es hängt sehr viel an den Leitfiguren. Mediziner selbst sind als Manager gefordert – mit neuen Vorbildern und neuen Haltungen.