Inwieweit befinden sich Medizin und Management im Wandel und brauchen eine Führung, die von der Zukunft her neu denkt und lenkt?
Mediziner als Manager
Medizin und Ökonomie
Wie stark Management im Wandel ist, ist vielen kaum bewusst. Jedoch sind die Wirkungen sind überall. Der Druck, der auf Führungen in Kliniken lastet, beschäftigt uns täglich. Für den leitenden Arzt steht schon lange nicht mehr nur das Wohl des Patienten im Fokus. Denn in der arbeitsteiligen Medizin ist Führung derzeit stark durch Erlösdruck und durch knappe Ressourcen geprägt. Denn das Angebot langfristig guter Medizin und die Ökonomie der Medizin bedingen sich. Nur in Abstimmung mit dem Budget einer Klinik ist eine hochwertige medizinische Versorgung hierzulande für jeden auf dem Stand von Medizin und Technik auf Dauer zu bezahlen. Dies erfordert Anpassungen in den medizinischen Fächern. Dabei muss sich heute die Therapie und das ärztliche Gewissen einen Vorrang vor der Ökonomie behaupten.
Unabhängige medizinische Entscheidungen sind eine Voraussetzung für gute Medizin. Dem wird ein Primat der Ökonomie gegenüber dem Wohl des Patienten nicht gerecht. Wie teuer Sparen an der falschen Stelle ist, zeigt sich oft dann Jahre später und lässt sich dann nicht mehr revidieren. So braucht es in Zeiten des Wandels v.a. die Verantwortung auf lange Sicht und für das Ganze. Doch bereits in das vermeintlich objektive Feld der evidenzbasierten Medizin spielen wieder ökonomische Interessen hinein. Studien über empirisch nachgewiesene Wirksamkeit sind nicht mehr als Anhaltspunkte, ihre Objektivität ist eine Illusion fremdfinanzierter Wissenschaft. So sichten Fachgesellschaften als unabhängig Instanz systematisch die Publikationen in Zeiten, in denen medizinisches Wissen immer schneller wächst, schaffen Vorselektion, Verzeichnisse, Aufbereitung von Ergebnissen und Leitlinien.[2]
Bewusstsein im Rollenkonflikt
Daher bedeutet Management im Wandel auch: Der Mediziner als Manager, als Führung und als Fachexperte steht im Rollenkonflikt. Nach der Genfer Deklaration des Weltärztebunds, gelobt der Arzt zu Beginn seiner Tätigkeit, dass die Gesundheit des Patienten sein oberstes Gebot ist. Diese Tradition bezieht sich auf den Eid des Hippokrates: Jeder Arzt bindet sich bewusst auch 2.400 Jahre nach Hippokrates an eine ethisch und wissenschaftlich verantwortete Medizin. [1] Denn die ärztliche Therapie- und Behandlungsfreiheit fordert Entscheidungen, die aus Verantwortung an den individuellen Gegebenheiten des Patienten ausgerichtet sind.
Auf die subjektive Gewissens- und Wissensentscheidung von Arzt und Patient kann heute – gerade auch in der Anwendung von Instrumenten und Leitlinien – weniger denn je verzichtet werden. So wird immer klarer, was den Übergang vom Wissens- zum Bewusstseins- Zeitalter prägt: die individuelle Verantwortung in einem immer komplexeren System.
Kulturwandel
Qualität in der Medizin und in der Führung
Auch die Qualität einer Dienstleistung – v. a. in der Medizin – ist objektiv nur begrenzt zu fassen. Das zeigen die Ergebnisse des Fleißes bei Zertifizierungen von Kliniken in den letzten 10-15 Jahren. Dabei verdeutlich gerade die bemühte Suche nach harten Kennzahlen und Indikatoren und deren bis zu einem gewissen Grad stets vorhandene Uneindeutigkeit und Anfälligkeit für Manipulation verdeutlichen ein Auf-der-Stelle-Treten. Die Verbesserung der Gesundheit des Patienten setzt sein Mitwirken und Vertrauen und seine Selbstheilungskräfte voraus. Zeit ist hier ein wesentlicher Wirkfaktor. In großen Teilen ist Qualität v.a. subjektiv erfahrbar. Um Indizien für Qualität zu finden, ist das Internet für immer besser informierte Patienten zentral. Wer sich hier über Eingriffsindikatoren informiert und aufgeklärt fühlt, macht sein Vertrauen daran fest.
Findet der Patient dann vor Ort seine Erwartungen bestätigt, können Struktur-, Prozess-, und Ergebnisqualität zusammen wirken. Dann erlebt er Qualität. Doch das braucht Kümmerer, die Steine aus dem Weg räumen und alles fügen.Beiträge wie im Spiegel 51/ 2016, [7] der die Führungskultur eines privaten Klinikträgers beschreibt, frustrieren. Wer sich für eine andere Qualität des Füreinander einsetzt, muss v. a. gut für sich selbst sorgen. Um einen langen Atem zu behalten und nicht den Mut zu verlieren. Diese Menschen sind wichtig: Sie schaffen Räume, in denen Teams andere Qualitäten erfahren und ihre transformierenden Kräfte entfalten. Räume, in denen der Einzelne wieder seinen Weg und persönlichen Sinn findet, statt „nur noch“ als Objekt zu funktionieren. An diesen Persönlichkeiten hängt viel und auf ihnen lastet noch mehr. Das Schöne ist: Wir treffen sie überall in Kliniken.
Kultur der Zusammenarbeit und des Füreinander
Menschen mit dem Blick für Optionen, die künftig für viele Menschen funktionieren könnten, finden aber nicht automatisch vom Umfeld Unterstützung. Es braucht zwischen den Berufsgruppen und Hierarchien ein gemeinsames Denken für und mit den Patienten. Vielleicht mangelt es da noch an echten Rollenvorbildern, wie Führung und Management künftig neu gestaltet und wie der eigene stimmige Weg gefunden werden kann. [8] Welche Entfaltung findet der einzelne Mitarbeiter im Team? Eine gesunde Kultur braucht Vertrauen. Alles bisher Geschaffte wird zum Training für das Weitere. Stimmt das Vertrauen, entsteht Dynamik als der normale Fluss des Lebens. In einem statischen Selbstverständnis dagegen geht vieles um Verteidigen und Bewahren. Sobald Vertrauen verloren geht, schleicht sich die Angst ein. Druck und Konflikte tun ihr Übriges.
Gerade die Medizin braucht eine für die individuelle Entwicklung offenen Kultur. Eine Kultur, in der auch Fehler als Chance zum Lernen begriffen werden. Darin liegt ein Schlüssel zum Übergang in die neue Zeit. In der ein Arzt nicht mehr unmenschlich unfehlbar sein muss, sondern die Intelligenz des Systems nutzen darf kann. Mitarbeiter sind in ihren Teams doch immer nur Partner auf Zeit für den Patienten. Dazu bedarf es der Kommunikation, dem Teilen der Zuständigkeit und Zeit zum Einspielen. Es ist kein Zufall, wenn die Medizin für den Patienten stimmt, die arbeitsteilige Leistung transparent ist und Teams dabei für ihre Patienten brennen. Der Patient erwartet dies doch zurecht von seiner Klinik.
Haltung zu Fehlern |
Mut zum Fehlerrisiko |
Reflexion |
---|---|---|
Nobody is perfect: Wo Menschen handeln, passieren Fehler. Strukturen zur Fehlervermeidung nutzen und das Fehlermachen weitmöglichst erschweren. | Ohne Mut wird nichts Neues geschaffen: Risiken betrachten, begrenzen & Neues wagen, erlaubt Entwicklung. Bevor Dinge besser werden, werden sie oft erst schlimmer. | Mit eigenen Fehlern offen umgehen: und dazu auch andere animieren. Wir werden so mitfühlender und toleranter mit uns selbst und anderen. |
Bei Eintritt von Fehlern – Lösungen statt Schuldige suchen: Der Fehler liegt grundsätzlich im Prozess und nicht in der Person. | Bei Fehlentwicklung – Zügig Schaden begrenzen; Fehler eingestehen, Verantwortung übernehmen, rechtzeitig Reißleine ziehen. |
Sich und den Fehler reflektieren: „Aus Fehlern wird man klug“ ist Lernarbeit, kein Automatismus. |
An den Grenzen alten Denkens im Management
Mitunter herrscht in Führungsetagen ein Denken, als müsse es in produktiven Organisationen wie im Krieg zugehen. Dieses spiegelt sich durchaus auch im Vokabular. Dann werden Konkurrenten als Gegner tituliert. Dann wird der Kampfgeist angespornt. Und es werden Wettkämpfe und Schlachten geführt, Schlagfähigkeit wird trainiert, Gewinne werden bejubelt. Doch dabei bleibt etwas auf der Strecke. Wie menschliche Verbindung, globale Begegnung, bereichernde Vielfalt. Es wird kategorisiert in Sieger und Verlierer. Dass es auch anders ginge, zeigt das folgende Beispiel, das uns die Schattenseite des Wettbewerbs vor Augen führt: [5]
Als europäische Missionare den Kindern der Aborigines das Fußballspiel beibringen wollten, benötigten sie dafür über ein Jahr. Nicht weil die Kinder zu dumm waren, die Spielregeln zu erfassen. Vielmehr dauerte es so lange, bis die Kinder den Sinn des Spiels darin fanden, den Gegner zu besiegen. Aus ihrer Natur heraus, dachten sie nicht individualistisch, sondern als Teil einer harmonischen Gemeinschaft. So strebten sie denn auch danach, dass beide Seiten genauso viele Tore und einen Ausgleich schaffen. Siegen, Dominieren, Beherrschen lag der Kultur der Aborigines fern.
Längst zeigen sich die Grenzen mechanistischen Managements des letzten Jahrhunderts: brodelnde Konflikte in sozialen Systemen, starre Institutionen, Finanz-, Energie-, Klimakrise, Massenarmut, Massenmigration, Fundamentalismus, … [3] Das Alte trägt nicht mehr. Und das Neue ist noch nicht erschaffen.
20. Jhd.: Mechanistisches Denken |
21. Jhd.: Systemisches Denken |
---|---|
Rational verwaltete Funktionen. | Soziale Systeme, Beziehungsnetzwerke. |
Lineare Ursache-Wirkungs-Prognosen. | Offenes Komplexitätsdenken. |
Zentrale Koordination und Kontrolle. | Dezentrale Prozesse der Selbstorganisation. |
Hierarchie, Bürokratie, Verwaltung | Netzwerke, Kollektive Intelligenz, Verantwortung |
Shareholder Value, kurzfristiger Profit. | „Nachhaltigkeit“, Bewusstsein & Sinn (Beitrag). |
Veränderung ist projektbezogen, reaktiv. | Kontinuierliche Verbesserung & Innovation. |
Theorie X – Menschenbild nach McGregor: MA sind tendenziell faul, scheuen Verantwortung, brauchen Druck. | Theorie Y – Menschenbild nach McGregor: MA sind intrinsisch motiviert, leisten gerne und übernehmen Verantwortung. |
Umdenken im Management
Das alte Denken steht für vom „Ego“, maximaler Konsum, „größer ist besser“. Und von individuellen Interessen getriebene Entscheidungen. Denn in der Tat hat das alte Denken wirtschaftlich den Aufschwung des Industriezeitalters bestimmt. Dabei mangelt es an Verantwortung für das Ganze. Wiederum stößt das bei vielen Menschen zunehmend offen auf Widerstand – gegen den Materialismus und den fehlenden Punkt des Genug. Die Realität in vielen Teilen der Wirtschaft ist steigende Arbeitsbelastung, Leistungsdruck und abnehmende Freiheitsgrade für den Einzelnen. Das globale System funktioniert nur für eine kleine Minderheit. Die gute Botschaft: Der Wandel ist im Gange. Unser Menschenbild distanziert sich vom Management alter Schule, das den Mitarbeiter als Objekt, als „Humankapital“, sah.
Zum Glück entscheiden sich Menschen immer freier, ihrer eigenen Stimme, ihren Werte und sozialen Vorstellungen zu folgen. Immer weniger sind sie bereit, sich für die Kämpfe anderer einspannen zu lassen und fremdgesteuert zu arbeiten. Die Zufriedenheit in der Arbeit richtet sich an den sozialen Erwartungen aus. Dagegen motivieren Wachstumsraten, charismatische Chefs, Statussymbole die Menschen nicht. Die Sehnsucht nach mehr Menschlichkeit ist die große Chance unserer Zeit. Wenn sich in der Welt des 21. Jhd. etwas verändern soll, dann darf sich erst die Haltung und dann das Verhalten in Organisationen ändern. Doch stetes Vergleichen, Wettstreit, Konkurrenz sind kulturell tief in uns verankert und setzen enorme produktive Kräfte frei. Stattdessen den Punkt des Genug und den Blick aufs Ganze zu lenken, ist eine Aufgabe unserer Generation, gerade in der Medizin. [6]