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Lerneinheit Blinde Flecken – Vom Feedback annehmen

von Okt 17, 2023Blogs

Feedback ist eine Chance zur persönlichen Entwicklung. Gerade wenn die Reflexion von außen blinde Flecken trifft. Doch beim Abweichen von Selbst- und Fremdbild ist es auch ganz schnell sehr schmerzhaft. Was heißt das für den Umgang mit dem blinden Fleck und über Feedback annehmen?

 

Wie komme ich meinen blinden Flecken auf die Spur?

Johari Fenster

Joseph Luft und Harry Ingham haben in den 1950-er Jahren mit dem Johari Fenster ein anschauliches Modell entwickelt, inwiefern der Mensch seinem Selbst als seinem Wesenskern auf die Schliche kommt.[1]. Dabei spannen sie mit zwei Achsen „Mir selbst bewusst/ unbewusst“ und „Anderen bewusst/ unbewusst” vier Felder auf:

 

Mir selbst bewusst

Mir selbst unbewusst

Anderen bewusst

Meine offene Identität

Mein blinder Fleck

Anderen unbewusst

Meine private Identität

Mein unbewusstes Selbst

Offene Identität

Die offene Identität zeigt ein geteiltes Selbst- und Fremdbild, in dem innere und äußere Wahrnehmungen bewusst und stimmig sind. In dem Bereich wirkt die Person authentisch, stimmig und verlässlich. Da ist die Basis, auf der sich Vertrauen und Beziehung vertiefen.Je größer die offene Identitäten sind, umso tiefer ist die innere Verbundenheit.

Private Identität

Die private Identität wir anderen verheimlicht, indem ich mich – bewusst oder unbewusst – nicht aufrichtig mitteile. Mein Selbstbild basiert auf Fühlen, Denken und Ich-Bewusstseins von innen aus dem eigenen Körper heraus. Da Wirkung in der sozialen Interaktion jedoch im wesentlichen nonverbal durch die oft unwillkürliche Körpersprache erzeugt wird, spiegeln sich innere Vorgänge dennoch nach außen. Bzw. wo Interaktionen entkörperlicht (disembodied) und nonverbalen Reaktionen unterdrückt sind, verarmt die zwischenmenschliche Kommunikation zwischen den Interagierenden und sie können schlecht miteinander in Resonanz kommen. Wer also als Führungskraft seine professionelle Rolle völlig von der privaten Person entkoppelt, wird es schwer haben, darin authentisch zu sein.

Blinde Flecken

Blinde Flecken der Persönlichkeit liegen dort, wo Dinge für andere wahrnehmbar, dem Betroffenen selbst aber nicht bewusst sind. Etwa wie eigenes Verhalten auf andere wirkt. Um seinen blinden Flecken für die eigene Weiterentwicklung auf die Spur zu kommen, braucht es Spiegelung von außen. Dazu bietet sich zuallererst an, sich Feedback von anderen geben zu lassen. Oder auch einmal selbst aus sich herauszutreten und sich aus der Distanz der Beobachterrolle selbst zu reflektieren.

So wie die meisten Menschen durch ihre Konstitution ohne Spiegel (oder Kameras) nicht einmal 50% ihres Körpers von außen wahrnehmen könnten, sind wir ohne psychisch geistige Reflexion von außen blind für unser Fremdbild. Physikalische und psychische Spiegel haben ihre je eigene Wahrheit. Durch bewussten Abgleich von Selbst- und Fremdbild lassen sich blinde Flecken verkleinern. Und je mehr wir unsere blinden Flecken schließen, umso mehr können wir ein stimmiges Vorbild für andere sein.

Unbewusstes Selbst

Das unbewusstes Selbst lässt sich Zeit meines Lebens durch Selbsterfahrung und Selbstreflexion immer tiefer erschließen, ohne es je absolut erkundet zu haben. In dem Bereich liegen ressourcenreiche Anteile wie auch Schattenanteile, die es zu integrieren gilt. Ihnen immer mehr auf die Spur zu kommen ist der Entwicklungsweg, immer mehr sein Potenzial zu leben. Was im Innern liegt, lässt sich körperlich im Bewusstseinszustand tiefer Selbstverbindung nachspüren. Empfinde ich gerade etwas? Was taucht in mir auf, wenn der äußere Lärm zur Seite geschoben wird und ich meiner inneren Stimme lausche?

Was dort intuitiv empor kommt zeigt sich oft erst im Rückblick. Und so ist im Rückblick auf das Leben der eigene Lebenslauf – gespeist von innen und außen – oft wohl selbst eines der großes Wunder für die, die es wahrnehmen.

Um blinden Flecken durch Spiegelung von außen auf die Spur zu kommen bietet sich also an: I. sich Feedback von einer Person des Vertrauens geben lassen,
II. sich aus der Distanz der Beobachterrolle im Hier und Jetzt selbst reflektieren.

 

I. Sich Feedback geben lassen

Die Haltung des Feedbackgebers

Wenn Feedback [2] ein Fremdbild spiegelt, das vom eigenen Selbstbild abweicht, ist das schnell schmerzhaft. Intuitiv wissen wir das und geben achtsam förderndes, konstruktives Feedback. Die positiv wohlwollende Haltung zur Person aus der heraus Feedback gegeben wird, ist entscheidend dafür, ob es vom Betroffenen angenommen oder abgewehrt wird. Das Unterbewusste schützt den Menschen, Feedback nur bei ausreichendem Vertrauen zum Sender anzunehmen. Die positive Haltung zum Betroffenen aktiviert Belohnungsareale im Gehirn des Feedbackgebers, so dass es sich dann gut anfühlt, Feedback zu geben und die Beziehung stärkt.[3] Bei guter Resonanz kann diese Unterstützung sogar zum Glückszustand des sog. Helpers High führen. Und je zufriedener und glücklicher wir dadurch sind, desto lieber helfen wir wiederum – ein positiver Feedback-Loop-Effekt in tragfähigen Beziehungen.

Dabei geht es um ehrliche Wahrnehmung – nicht um Recht oder Unrecht. Um die Sicherheit des Füreinanders und um Offenheit dazu, was der Anderen mit dem Feedback weiter macht. Wer das Selbstbild des Anderen gut kennt, kann daran gut anschließen und weitergehend auch blinde Flecken ausleuchten. Um zu neuem Denken über sich selbst anzuregen sind Wertschätzung und gegenseitiges Vertrauen nötig. So soll Sokrates einen Schüler mit der Begründung fortgeschickt haben:  “Ich kann dich nichts lehren. Du liebst mich nicht…”

Feedback Regel: Feedback offen annehmen – ohne „wenn und aber“

Führungskräfte haben die Aufgabe laufend kritisch Rückmeldung zu geben und sind bereit, beizutragen und zu unterstützen. Wenn ihr Impuls angenommen und umgesetzt wird, fühlt Führung sich wirkungsvoll. Doch Feedback zu Leistung und Verhalten selbst gut anzunehmen, ist oft herausfordernd… V.a. wenn es nicht selbst erbeten oder institutionell geregelt worden ist. Wer nach persönlichem Feedback fragt, möchte etwas über die Wirkung von sich auf den anderen erfahren. Daher gibt es am Feedback nichts zu diskutieren und zu kommentieren. Der natürlichen Abwehrfunktion entspricht das nicht gerade. Um offen zuzuhören, braucht es bewusste Selbstreflexion. Präsent zuzuhören, allenfalls Verständnisfragen zu stellen und das Gesagte wirken zu lassen – das will geübt werden. Dann werde ich merken, dass mein Umfeld sich immer mehr traut, mir offen und ehrlich Feedback zu geben.

Den sofortigen „ja, aber“ Impuls zu unterdrücken, bedarf gewisser Reife der Reflexion. Denn natürlich wollen wir unser Selbstbild verteidigen. Der innere Widerstand äußert sich in spontanem Widerspruch oder Rechtfertigung. In der Regel nutzen wir das Wort „aber“, um auf unsere Position aufmerksam zu machen. Da wir uns noch nicht gehört und verstanden fühlen. Die Frage hinter jedem “aber” ist daher: Was würde sich bei uns erfüllen, wenn der Andere den Satz hinter dem „aber“ hören würde? Was hält uns davon ab, dass wir das „Ja“ für sich stehen lassen können? Das „aber“ weist so auf ein unerfülltes Bedürfnis hin. Praktisch streicht das “aber” jedoch faktisch alles Gesagte. Das Feedback, um das wir eben noch gebeten haben, wird abgewehrt. Die Kunst im Nehmen von Feedback besteht darum darin, das Gesagte stehen lassen zu können und das “aber” für den Moment für mich zu behalten.

Inneren Widerstand gegen die Sache überwinden

Je sicherer wir uns gesehen fühlen, umso leichter fällt es, den Impuls zur Gegenrede zu unterdrücken. Dann ist der empfundene Stress beim Deuten auf einen blinden Fleck niedriger, wodurch auch der Widerstand geringer ausfällt. Bleiben wir im entspannten Zustand, dann können wir uns für die Rückmeldung öffnen und uns uns darauf begrenzen, allenfalls mit vertiefenden Verständnisfragen zu reagieren. So beginnt die Reflexion. Die Sicht des anderen ist eine Perspektive. Nicht mehr und nicht weniger. Ich muss sie nicht unkritisch zu meiner Wahrheit machen. Doch in jedem Fall darf ich sie für mich prüfen.. Ich habe hier die Chance, etwas Neues über mich zu erfahren. Ich kann mir immer noch sagen, dass das Feedback eine Selbstaussage über den Feedbackgeber und seine Konstruktion der Wirklichkeit enthält, als eine absolute Wahrheit über mich.

So gibt es für den reflektierten Feedback-Nehmer eine weise Regel: Das Feedback stehen lassen. Ein einfaches „Danke!“ genügt…

 

II. Spiegelarbeit – Uns selbst aus der Distanz der Beobachterrolle besehen

Die Haltung, wie wir uns ansehen, ist wichtiger als was an uns wir uns ansehen… 

Uns selbst wichtig nehmen und uns mit liebevollen Augen anzusehen, können wir wortwörtlch nehmen. In unserem Gesicht gibt es viele Muskeln, die die innere Stimmung ausdrücken. Die Anspannung der Gesichtsmuskeln führt zu Verspannungen im ganzen Körper. Gesicht und innere Organe sind verbunden. Darum wirkt Gesichtsentspannung ganzheitlich und verändert auch das Atmungs- und Nervensystem. Wenn wir lächeln, lösen sich augenblicklich die Spannungen der Muskeln im Gesicht und im Körper. Der Atem wird ruhiger und gleichmäßig. Wir werden optimistischer und fühlen innere Weite und Wärme. So tun wir uns etwas Gutes, geben uns selbst Zuneigung. Wenn wir mit einem Lächeln unseren Körper spüren, kommen wir in liebevollen Kontakt mit uns selbst.

Den liebevollen Blick für sich selbst zu üben, lässt Dankbarkeit in uns aufsteigen. Der Tag beginnt anders, wenn ich am Morgen mit freundlichem Blick in den Spiegel schaue. Und wenn ich mir dabei ein Lächeln als Ermutigung schenke, dann kann ich es anschließend auch in die Welt weitergeben. Wirkungsvoll ist es, wenn ich Botschaften an mein Unterbewusstes vor dem Spiegel laut ausspreche. Der Spiegel reflektiert, was wir über uns selbst denken. Vor dem Spiegel werden wir uns sofort bewusst, wo bei uns innere Widerstände wirken und wo wir offen sind. Die achtsame Betrachtung im Spiegel hilft uns, unserer Worte und unseres Verhaltens bewusster zu sein. Und so hilft Spiegelarbeit, die  in unserem Leben wichtigste Beziehung zu stärken: die Beziehung zu uns selbst.

Spiegelarbeit

Schau dir selbst liebevoll in die Augen. Nehme deinen liebevollen Blick wahr. Spüre das liebevolle Gefühl zu dir. Was siehst und liebst du an dir?[4] Und wiederholen Sie die Routine jeden Morgen – mindestens so lange bis ein fröhliches „Ich mag mich“ wirklich ihren Tag erhellt. Nur wer diese Liebe in sich selbst fühlt, kann sie weiter in die Welt tragen…

 

[1] Johari-Fenster: Luft, J. & Ingham, H. (1955). The Johari Window, a graphic model for interpersonal relations. Western Training Laboratory in Group Development, August 1955; University of California at Los Angeles, Extension Office.

[2] Feedback (= Rückmeldung/ Rückkopplung) geben wir verbal und non-verbal. Paul Watzlawick hat den Ausspruch geprägt: „Man kann nicht NICHT kommunizieren!“ (Metakommunikatives Axiom) 

[3] Vgl. M. Fischer-Epe: Coaching: Miteinander Ziele erreichen, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg Reinbek, 4. Auflage 2011, S. 102 ff.

[4] Menschen, die tiefe Minderwertigkeitsgefühle erlernt haben (wie der am Holzpfahl gebundene Elefant mit seiner erlernten Hilflosigkeit) , können diese scheinbar unspektakuläre Frage schwerlich aushalten. Menschen mit gesundem Selbstwertgefühl dagegen antworten darauf häufig ohne viel Aufheben darum zu machen.