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Lerneinheit Innere Kind Arbeit – Vom Schatten zurück in die Sonne

von Okt. 5, 2025Blogs

Die innere Kind Arbeit ist u.a. durch Bestseller wie von Stefanie populär geworden.[1] Tatsächlich ist die Metapher der Arbeit der „Mamuschka“ mit ihren inneren Kindern in Selbstreflexion und Coaching ein kraftvollen Ansatz in der eigenen Entwicklung. Dies ist im beruflichen Kontext deshalb so relevant, weil das Maß an Erschöpfung so hoch ist. Um langfristig mit ganzer Lebendigkeit „seinen Job zu machen“, ist es sinnvoll, sich um seine Resilienz und Stressresistenz zu kümmern.

Unsere innere Kinder sehen

Wenn wir als Erwachsene mit negativen Emotionen im Hier und Jetzt nicht der Situation angemessen reagieren, liegen dort oft unbewusst unverarbeitete frühere Verletzungen darunter. Sie springen unvermittelt durch das „somatischen Schmerzgedächtnis“ aus dem Körper an. Solche Situationen im Nachgang zu reflektieren, ist eine Chance, zur eigenen Lebendigkeit und Ganzheit zurück zu finden.

Verletzte innere Kinder stehen bildlich für Zustände unseres hochsensiblen, fühlenden und wahrnehmenden inneren Wesens. Für alte verdrängte Emotionen und unerfüllte Bedürfnisse, die aufgehört wurden zu fühlen, weil der Schmerz nicht reguliert werden konnte. So sind sie verborgen in uns und prägen unser Leben doch weiter. Die Verletzungen müssen nicht als große Lebensthemen zwingend aus der frühen Kindheit herrühren, wo unser Unbewusstes ohne mentale Filter noch weit geöffnet war. Sie können natürlich auch aus der jüngeren Vergangenheit stammen. Wie im wahren Leben: Unsere Kinder bleiben immer unsere Kinder, egal wie alt sie sind.

Die bildliche Mutter stellt in ihrer Mutterrolle das Leben ihrer Kinder über ihr eigenes und tut alles dafür, die Bedürfnisse der inneren Kinder zu erfühlen und sie in einem sicheren inneren Raum zu behüten. Diese nährende, gebende Mutter dürfen wir uns selbst sein. Deshalb ist die Mamuschka (korrekt eigentlich Matrjoschka), die äußere der russischen Schachtelpuppen, die ihre inneren Kinder in sich trägt, ein schönes Symbol für die Ganzheit des Menschen. Innere Kind Arbeit ist nämlich eine vielschichtige Arbeit an einer gesunden Selbstbeziehung.

Den Schmerz sehen

Arbeit mit inneren Anteilen setzt voraus, dass wir aushalten können, was unser System dann an verdrängten Verletzungen freigibt. Dazu hilft ein co-regulierendes Gegenüber, das die Mamuschka stärkt. Die Schatten alter Verletzungen nennt Stahl Schattenkind. Es hat den Mut und die Sicherheit seines eigentlichen Sonnengemütes abgelegt. Eine heutige Reaktion triggert das innere Schattenkind und damit werden alte Reaktionsmuster aktiv. Zur Aufarbeitung ist es NOT-wendig, das innere Kind mit seinen verletzten Gefühlen und unerfüllten Bedürfnissen zu erkennen und ihm aus der Position der emotional geklärten Erwachsenen Liebe, Mitgefühl, Trost und die Sicherheit zu geben, die es damals gebraucht hätte. Dieser Prozess braucht das tiefe Atmen und Einfühlen, bis der Kopf schweigt und der Trost in den Körper fällt. Dabei geschieht etwas, vielleicht begleitet von Tränen, was Regulation der Emotion und heilsame Wirkung ermöglicht.

Ist diese innere Co-Regulation durch die Präsenz der Mamuschka einmal gelungen, wird der Trigger das nächste Mal schon nicht mehr so stark sein. Es wird leichter, eine belastende Situation auszuhalten und zu durchleben und dabei mit sich selbst im Hier und Jetzt verbunden zu bleiben. Dabei gilt es, seinen festen Stand im Erwachsenen-Ich zu halten und im Hier und Jetzt zu bleiben. Die alten Bilder zwar erkennen und benennen, aber sie nicht immer wieder neu zu durchleben. Wer so stückweise seine Autobiografie aufarbeitet, befreit sich durch den Schmerz hindurch von unbewussten emotionalen Affekten. Innere Kind Arbeit heißt also, die unzähligen verletzten inneren Kinder Schritt für Schritt in die eigene Mitte zu nehmen und in dieser Verbundenheit dessen emotionale Bedürfnisse zu würdigen.

Den Schmerz anerkennen

Der Körper mit seinem Überlebensinstinkt speichert und spiegelt unverarbeitete seelische Verletzungen, selbst wenn der kopflastig gewordene Mensch sich sehr von seinem Körper dissoziiert hat, um nichts zu fühlen. Zentral ist es, sich Schritt für Schritt wieder in die Empfindungen einzufühlen, auch wenn es schmerzt. Bis dahin kann es bereits eine große Wegstrecke sein. Der Trauma Experte Peter Levine betont, dass alter Schmerz zur Heilung eine bottom-up Sequenz vom Körper in den bewussten sprachlichen Ausdruck finden muss.

Wenn das emotionale Bedürfnis irgendwann einmal gesehen und anerkannt wird, ist ein wichtiger Teil des Weges genommen. Die innere Verletzung wird „nachbemuttert“ und bekommt den sicheren inneren Raum, den sie damals nicht hatte. Das ist ein Prozess. Doch irgendwo auf dem Weg lässt die Erschöpfung nach und der Mensch findet zurück in seine Körperverbundenheit und in seine Kraft. Das ist keine komplizierte Technik, aber fordert den Menschen enorm. Denn es gilt, seine Masken und Schutzschilde abzulegen und sich seinen Verletzungen zu stellen. Gerade dorthin zurück zu kehren, wo es sehr wehgetan hat. Den Schmerz anschauen, kann das innere Kind nicht allein. Es fühlt. Es braucht den emotional stabilen Erwachsenen, der da ist und da bleibt, der den Schmerz des Kindes sieht, um ihn gemeinsam auszuhalten.

Wenn Emotionen früher abgewertet wurden, wächst das Gefühl, nicht sicher zu sein. Der Selbstwert entwickelt sich nicht gesund. Um die Angst zu verdrängen, werden Kompensationsmuster und Glaubenssätze [2] erlernt. Der Mensch verhärtet, wird hart zu sich selbst und zu anderen. Wenn wir nach einer alten unverarbeiteten Emotion in unserem heutigen übertriebenen oder untertriebenen Reagieren suchen, ist eine mögliche Sequenz von Einstiegsfragen, um über den Körper in die Tiefe zu gehen:

–   Welche Stelle zeigt dir dein Köper vielleicht ganz spontan, in der er die alte Verletzung 
    gespeichert hat? Atme in diese Stelle hinein. Lege die Hände auf die Stelle.
–   Welche Empfindung – wie Enge, Atemnot, Verspannung, Schmerz – zeigt sich hier?
–   Welches Gefühl verbindest du spontan damit?
–   Wie alt fühlst du dich in der Emotion gerade?
    Kommt dir ein Geschehen dazu in den Sinn, wo dieses Gefühl herstammt?
–   Was hätte es damals gebraucht? Tritt als Mamuschka in die Situation ein.
    Halte dem inneren Kind einen sicheren inneren Raum, sei einfach für es da und sehe es.
–   Was verändert sich dadurch in dir?

 

In der inneren Kind Arbeit können wir beliebig weit in unsere Vergangenheit zurück gehen (auch bis hin zu unseren Ahnen, die uns ein Päckchen unverarbeiteten Schmerz vererbt haben können):

  • Erwachsene innere Kinder, die einen Verlust oder ein Scheitern nie überwinden konnten…

  • Jugendliche, die für ihre Bedürfnisse kämpften, und wenn sie sich nicht gehört und gesehen fühlten, mit pubertärer Trotzkraft reagierten. Dafür, dass sie nicht mehr „funktionierten“ aber als Person beschämt und beschuldigt, vielleicht  reglementiert und bestraft wurden…

  • Schulkinder, die nicht den Vertrauensraum hatten, in dem ihre Gefühle, v.a. die kindlichen Ängste ernstgenommen und sie nicht geschützt und durch Mitgefühl getröstet wurden…

  • Babies/ Kleinkinder, die alleine und schreien gelassen wurden, denen so grundlegende Sicherheit und Verbundenheit fehlte, so dass sie Gefühle unterdrückten und sich früh von körperlichen Bedürfnissen und Schmerz dissoziierten…

Verdrängte Gefühle holen den Menschen wieder ein. Sie erschöpfen, rauben Vitalität. Darum ist es so wichtig, sie benennen zu können und im Mitgefühl anzunehmen. Um ihnen so einen sicheren inneren Raum in lebendiger Verbundenheit zu geben. Denn wie es im Zitat des spanischen Philosophen George Santayana Ausdruck findet: „Wer die Geschichte nicht erinnert, ist verurteilt, sie neu zu durchleben.“ [3]

Innere Kind Arbeit in coachenden Gesprächen

Die innere Kind Arbeit eignet sich nicht nur im Selbstcoaching, sondern findet noch mehr Verbundenheit, wenn wir uns in einer Gemeinschaft wie in der Familie getragen fühlen und in ihr Ausdruck finden können, für das was uns innerlich bewegt. Auch in coachenden Gesprächen können wir uns anderen Menschen „als Mamuschka“ zur Verfügung stellen und ihnen damit Bewusstseinsbeschleuniger sein. Grundlegend dafür ist, einen sicheren Vertrauensraum zu halten, Trost durch Mitgefühl zu spenden und v.a. Zuhören, ohne zu bewerten. Um die verletzten inneren Kinder zu sehen und zu spüren. Wir werden merken, wie heilsam diese Gespräche durch reine Präsenz auch ohne große Worte wirken.

Dazu müssen wir aus der Alltagsrealität in ein entspanntes sicheres Setting austreten. Regulation entsteht gerade nicht durch Machen und Beraten, sondern durch Halten. So ermöglichen wir es den inneren Kindern, ins (radikale) Vertrauen ins Leben zu gehen: Wir werden überleben, dass es ist wie es ist. Das Nervensystem lernt allein durch Erfahrung, dass wir es bewältigen, durch den Schmerz hindurchzugehen und sich am Ende etwas löst. Damit es nicht unsere Überlebensinstinkte (Kampf, Flucht, Starre und Unterwerfung etc.) anwirft, braucht es Co-Regulation durch die Mamuschka, die wir uns als Erwachsene in Selbstverbindung selbst sein können oder die andere tragfähige Beziehungen für uns sein können. So lernen wir in (Selbst-) Verbindung und präsenter Körperwahrnehmung, emotionalen Stress mehr und mehr zu regulieren.

Zurück in unsere Kraft

Oder um es mit dem Sonnenkind von Stahl zu sagen: Emotionen, Schmerz und Freude, gehören zur Lebendigkeit. Sie weisen auf wichtige Bedürfnisse und damit auf eine Qualität hin, die uns wichtig ist. Wenn wir uns mit dem Bedürfnis verbinden, kann Friede und Fülle in uns entstehen und den Schmerz wandeln. Wenn so unsere inneren Kinder nicht im Schatten verborgen bleiben, sondern sich in uns geborgen fühlen, spenden Sie uns Sonnenenergie, die uns durchs Leben tanzen lässt. Zu wahrhaftiger Selbstverbindung braucht die Mamuschka alle ihre inneren Kinder. Jedes innere Kind ist wertvoll und hat uns etwas über uns selbst zu sagen.

[1] Die Arbeit mit dem inneren Kind ist heute fester Bestandteil vieler therapeutischer Ansätze mit inneren Anteilen von der Ego-State-Therapie nach Watkins, über die Party-Party nach Virginia Satir bis zum Inneren Team nach Schulz von Thun. Die Grundidee: In uns lebt ein „inneres Kind“, das für alte Verletzungen und unerfüllte Bedürfnisse steht. Dieses Kind braucht einen sicheren inneren Ort, an dem es gesehen, getröstet und angenommen wird. Aus der Humanistischen Psychologie, der Schema- und Gestalttherapie heraus ist dieser Ansatz v.a. durch populäre Bücher verbreitet worden wie durch Stefanie Stahl (2015): Das Kind in dir muss Heimat finden oder Susanne Hühn (2017): Die Heilung des inneren Kindes, Sieben Schritte zur Befreiung des Selbst. Inneren Kind-Anteile sind zudem im Ego-States-Ansatz nach Eric Berne in der Transaktionsanalyse zentral, die u.a. Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich und Kind-Ich als innere Anteile unterscheiden und sie miteinander ins Gespräch bringt.

Die Schematherapie nach Jeffrey Young geht in der (Sebst-) Beziehungsgestaltung noch einen Schritt weiter: Sie nimmt inneren Anteile auf  und externalisiert sie oft über Stuhldialoge und Rollenspiele. Kindlichen emotionalen Modi wird ein gesunder Erwachsener zur Seite gestellt, der das Kind tröstet und für seine durch unerfüllte Bedürfnisse angelegten, dysfunktionalen Muster (Schemata) auf gesunde Weise sorgt. So können alte Schmerzmuster aus der Kindheit nach und nach durch einen gesunden Modus zur funktionalen Selbstregulation durch Nachbeelterung der eigenen Biographie angenommen, biographisch eingeordnet und geheilt werden. So werden Selbstregulation und Autonomieentwicklung gefördert.

Zur Biographiearbeit als Wert des Lebens an sich und Weg zur Selbsterkenntnis vgl. auch Hoffmann, Oliver (2025): Die Ökonomie der Erinnerung: Innere Austauschprozesse als Weg zur geistigen Leistungsfähigkeit, Nomos Verlag.

[2] Susanne Hühn (2017): Die Heilung des inneren Kindes, Sieben Schritte zur Befreiung des Selbst, S. 28, will mit ihren 7 Regeln des inneren Sonnenkindes typische undienliche Glaubenssätze mit stärkenden Erlaubersätze überschreiben. Diese besagen: Ich darf…

  • traurig sein und meine Grenzen ziehen.
  • mir Zeit nehmen, einfach zu sein, mich in meinen lebendigen Emotionen zu spüren. Das ist der eigentliche Sinn einer regenerierenden Pause.
  • von meiner Angst lassen und meinen Mut feiern, mich selbst zu zeigen.
  • aufhören das zu tun, was mir keine Freude macht.
  • meine Zeit mit Menschen verbringen, die mich lieben.
  • auch albern sein, ohne mich um meine Wirkung zu sorgen.
  • andere um Hilfe bitten.

Link auf Erinnerungen – Buchempfehlung (Autobiographiearbeit-Link), ggf. auch auf die 3-Tore-zum-Selbst/ zur Selbstentfaltung

[3] Das Zitat steht am Eingang von Block 4 des ehemaligen KZ Ausschwitz, wo 1940-1945 über 1 Mio. Menschen grausam ermordet wurden, als Mahnmal dafür, zu welcher Bestialität der Mensch fähig ist.