Lebende Organismen arbeiten systemisch zusammen. Welche Anteile der Persönlichkeit verkörpern Kopf, Bauch und Herz? Welche Rollen spielen sie?
Der Kopf, oder besser gesagt das Hirn, und der Bauch, oder besser gesagt der Magen und Darm, sind fest verankerte Organe im menschlichen Organismus. Jedes Organ im Körper hat seine Aufgabe und ist mit den anderen über Zellen, Blutbahnen, Nervenstränge oder Gewebe direkt vernetzt. So können sie zusammen arbeiten wie ein eingespieltes Team. Die Organe mit ihren Verbindungen sichern gemeinsam das (Über-) Leben. So wirken Kopf und Bauch ständig wechselseitig aufeinander ein. Was im Hirnsystem gedacht wird und somit als Energie auftaucht, spiegelt sich auch im Darmsystem – mit identischen Typen von Nervenzellen, Botenstoffen, Rezeptoren. Umgekehrtes gilt für das Bauchgefühl. Ein faszinierendes System, unser Organismus.
Bei der Frage “Wie entscheiden?” kommen Kopf und Bauch so nicht nur allegorisch ins Spiel. Der rationale Kopf, der die langfristigen Folgen bedenkt und damit den Willen zum Bedürfnisaufschub mitbringt – und der eher intuitive Bauch, der uns sofort zur Tat treibt. Nicht immer vertreten die beiden die gleiche Position und es kommt zu einem inneren Konflikt. Welchem Teil folgen wir dann eher? Gewiss: Beide folgen unterschiedlichen Bedürfnissen und haben ihre guten Gründe für die jeweilige Position. Und wir wissen längst: je höher der empfundene Stress ist, desto eher spart der Kopf Energie und der Bauch übernimmt die Führung. Die Rolle des Herzens als Konfliktklärer wird dabei kaum beachtet. Dabei ist doch das Herz der zentrale Taktgeber und Integrator im systemischen Zusammenspiel eines Sowohl-als-Auch. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die Rollen zu wagen.[1]
Der Kopf und die Gedanken
Nehmen wir zuerst den Kopf. Er ist die Grundfigur des Denkens. Spätestens seit Descartes (1596-1650) wissen wir: „Cogito ergo sum. Ich denke, also bin ich“. So sieht sich der Kopf natürlich als zentrale Instanz. Sein Metier ist das Denken und die Ratio. Er analysiert, reflektiert, bewertet, begründet mit Logik, Ursache und Wirkung. Wahrlich: Dem Kopf haben wir viele wichtige Erkenntnisse der Menschheitsgeschichte zu verdanken. Da der Kopf Descartes allzu genau nimmt, denkt er immer. Steht permanent im inneren Dialog. Würde er nicht mehr denken, wäre er nicht mehr. Im westlichen Paradigma der Aufklärung scheint er fast zur alleinigen Instanz geworden zu sein. Doch wissenschaftliche Erkenntnis und objektivierte Argumente führen bei hoher Komplexität nicht selten zu Ratlosigkeit und einer Unfähigkeit zur Entscheidung.
Der Mensch vergisst, welch mächtiges Instrument der Geist ist. Erst in der bewussten Trennung zwischen denkender Person und Gedanke ist eine Intervention möglich, die vermeidet, sich seinen Mustern auszuliefern. Statt sich unbewusst steuern zu lassen und blind seinem Verstand, seinen Gedanken, mentalen Modellen und eingeschliffenen Denkmustern zu folgen, kann der Mensch sich aktiv seines Verstandes bedienen und bewusst Wahrnehmung und Bewertungen voneinander trennen. So lassen sich Interpretationen hinterfragen und verändern, wodurch sich die individuelle Wirklichkeit auf dem Fuße ändert.
Der Kognition, dem Stand der Neurobiologie zum dreifältigen Gehirn und dem Persönlichkeitsmodell der vier Ebenen von Gerhard Roth haben wir uns im Beitrag „Neurobiologie und Persönlichkeit“ vertiefend gewidmet.
Der Bauch und die Emotionen
Der Bauch führt ein ganz anderes Dasein. Mit dem Denken hat er nicht viel am Hut. So ist ihm der Kopf zuweilen auch suspekt. Das Wirken des Bauchs ist zuerst auf das Steuern der Vitalenergie und das (Über-) Leben des Systems ausgerichtet. Das ist essentiell und so sieht der Bauch sich ganz natürlich als die Hauptfigur. Seine Instrumente sind die Emotionen, die den Organismus in Bewegung setzten.[2]
Und auch hier: Unreflektiertes reaktives emotionales Verhalten auf äußere und innere Trigger ist ebenso problematisch wie das blinde Folgen der Gedanken. Denn es sind v.a. gewohnte Muster oder Erinnerungen der Vergangenheit, die ausgelöst werden, die im aktuellen Kontext aber gar nicht unbedingt hilfreich sind. Sich vom im „entweder oder“ von Kopf oder Bauch leiten lassen, führt nicht in der Verbindung im Hier und Jetzt.
Das Herz und sein leiser Takt
Den Takt gibt ein anderer leise und fast unbemerkt vor. Und er vermag es, mit einem Schlag unser ganzes System zum Stehen zu bringen. Und doch schenken wir ihm kaum Beachtung: Die integrative Kraft zwischen Kopf und Bauch ist das Herz. Es hat zurecht – nicht nur für Kardiologen – eine besondere Faszination. Das Herz integriert, ist der Teamleader im Dreiklang dieser Organe. Es steuert über seinen Herzschlag. Und wie so oft in der Führung erfordert das Ausdauer und Konsequenz. Im Laufe eines 81,5 jährigen Lebens – mit im Durchschnitt 70 Schlägen pro Minute, also etwas mehr als 100.000 Schlägen pro Tag – schlägt das Herz mehr als 3 Milliarden Mal. Bei Stress und körperlicher Anstrengung erhöhen sich Herzfrequenz, Puls, Blutdruck noch mehr. Veränderungen des Herzschlags gehen mit Änderungen des Gemütszustandes einher. Das Herz macht im Mittel zu 1/3 Pause – immer zwischen den Schlägen. Auf den Tag gerechnet ist es damit 16 Stunden aktiv und ruht 8 Stunden. Ein gesundes, natürliches Maß.
Die Person drückt sich zeitlebens über ihren Körper leibhaftig aus, sie ist bis zu ihrem Tod eine Einheit ihres Organismus. Wenn wir aber auf uns zeigen und unseren Wesenskern meinen, wo zeigt unsere Hand dann hin? Auf den Kopf oder auf den Bauch? Nein. Sie zeigt auf das Herz. Unser Herz macht uns als Person wesentlich aus. Das Hirn eines Menschen lässt sich – zumindest heute noch – nicht transplantieren, wodurch die individuelle Identität auch an das Gehirn gebunden werden könnte. Den die Funktionen des Herzens können heute künstlich oder durch ein fremdes Organ aufrecht erhalten werden. Doch wird die Funktion des Herzens adaptiert, wirkt das auf die eigene Persönlichkeit. Es gibt Studien von Herzforschern,[3] die das Herz gar als eigenes Intelligenzzentrum ausweisen. So zeigen z.B. Patienten nach einer Herztransplantation Veränderungen im Verhalten, die auf den Herzspender zurückgehen. Das Herz scheint mit dem Leben selbst gleichbedeutend. Verletzungen des Herzens bedeuten oft den sofortigen Tod der Person. Verletzungen des Hirns sind oft weniger final und können sogar heilen. Hört das Herz auf zu schlagen, verliert der Mensch sofort Bewusstsein, Atmung, Puls und Durchblutung. Es folgt ohne Reanimation in wenigen Minuten bis Stunden biologisch das sukzessive Erlöschen der Vitalfunktionen der Organe bis hin zum Hirntod. Der Zusammenbruch aller Hirnfunktionen wird klinisch als zweifelsfreies und eindeutiges Zeichen dafür gedeutet, dass der Tod bereits eingetreten ist.
In vielen antiken Kulturen – vor Platons Modell vom Pferdewagenlenker – galt noch das Herz als wichtigstes Organ des Denkens. Das Herz arbeitet dabei ganz im Stillen. Es ist selbstlos. Es kann wahre Dankbarkeit empfinden, Freude, Herzlichkeit und Liebe. Unbedingte Liebe, die gelten lässt, was ist, wie es ist, und sich so selbst erfüllt. Im Herzen sind Wertungen aufgehoben. In ihm wird gelassenes Da-Sein und absichtsloses Wirken möglich. Und das Herz beherbergt viele Formen von Mut: Demut, Langmut, Anmut und auch etwas Übermut. Indem das Herz die Steuerung übernimmt, können Kopf und Bauch ihre Aufgaben erfüllen. Sie dienen dann nicht nur ihren individuelle Interessen, sondern sind eingebunden in einen Rhythmus von Beziehungen in Systemen. Was so dem Menschen dient, dient zugleich der Menschheit.
Um die Herzensqualität zu entwickeln, hilft die sinnliche Körperwahrnehmung im Hier und Jetzt. Der Körper meldet mit feinen Impulsen zurück, ob sich die Beziehung so richtig anfühlt oder nicht: Wird mir warm oder kalt? Fühle ich mich angezogen oder abgestoßen? Was sagt meine Intuition: Fällt mir, wenn ich ganz präsent bin, wie aus dem Nichts eine plötzliche Eingebung und innere Gewissheit zu, als würde ich auf ein tiefes implizites inneres Wissen zugreifen? Kinder sind noch wahre Experten in diesem Raum der intuitiven Erkenntnis und Selbstvergessenheit, können sich noch ganz auf den Moment einlassen.
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Der Führung des Herzens vertrauen
Eine Hauptaufgabe von Führung ist es, in einer Welt der Möglichkeiten, stetig gute Entscheidungen zu treffen. Wie leicht führt das zu Überforderung. Menschen, die keinen guten Zugang zu ihren Emotionen, Gefühlen und Empfindungen haben, tun sich oft schwer, zu entscheiden und suchen übermäßig Sicherheit in rationaler Absicherung. Viel zu oft werden in der Führung so angstgetriebene, extrinsisch orientierte Entscheidungen getroffen. Umso wichtiger ist es also, sich damit auseinander zu setzen, wie Sie auf Ihr Herz hören und wie Sie es in Ihre Entscheidungen einbinden.
Der Weg über das Herz führt in die eigene Mitte. Um den eigenen Weg und die eigenen Ziele klar zu sehen, braucht es Raum und Zeit. Zeit zur Reflexion und Zeit zum Hineinspüren in die eigenen Wünsche, Bedürfnisse, Werte und Sehnsüchte. Eben in das Herz. Die Fähigkeit des Kopfes zur Reflexion und die Signale des Bauches helfen, sich Bewusstsein und Stimmigkeit zu verschaffen.
Kleine Übung zur Herzensverbindung
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Für eine Wahl liegen jeder Entscheidung zumindest zwei Möglichkeiten zugrunde. “Zwei”-fel sind also ganz normal. Beim Erkunden der Alternativen sind Kopf und Bauch wertvolle Ratgeber – ebenso die Perspektiven anderer Menschen. Über die noch unausgereiften Ideen miteinander zu reden, ist keine schlechte Idee. Und wenn alles erkundet ist – dann wird das Herz befragt: “Bei welcher Alternative habe ich ein gutes, warmes Empfinden?” Es spart viel Energie, jetzt auf das Herz zu hören, sich zu entscheiden und darauf zu vertrauen, dass es gut ist. Auch wenn wir dabei nicht unbedingt den leichtesten Weg wählen. „Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt“ (Blaise Pascal) und weiß in seiner Weisheit so viel mehr als wir bewusst wahrnehmen. So dürfen wir die „Herzlosigkeit“ ablegen und lernen, unserem Herzen vertrauen und ihm in der Welt Ausdruck zu verleihen.
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Wie der Mensch dabei über sich selbst hinaus wachsen und sein Potenzial leben kann, wenn Bauch, Kopf und Herz im Einklang sind und im bloßen Sein verschmelzen, zeigt die Geschichte des Leichtatlethen Roger Bannister.[4]
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[1] Vgl. Jokisch, Wolfram (2005): Kopf-Herz-Bauch – ein Drei-Perspektiven-Modell der Persönlichkeit. Es ist im Kern bereits das 2.400 Jahre alte platonisches Modell der drei Anteile der Seele. Platon sah im Kopf das Logistikon (Vernunft), tief im Bauch das Epithymetikon (Triebhafte), in der Brust das Thumoeides (Mut des Herzens). Im Dialog Phaidros zeichnete er dafür das Bild eines Pferdewagens mit der Vernunft als Wagenlenker, der zwei ungleiche vor den Wagen gespannte Pferde zügelt und vor dem Durchgehen bewahrt – ein edles weißes mutiges und ein ungestümes schwarzes wildes. Ohne die Pferde(stärken) – mit rein rationalem, gefühllosem Denken – käme der Wagen keinen Schritt vom Fleck. Das Bild beinhaltet dass die griechischen Philosophen jedoch mehr dem Kopf als dem Herzen die lenkende Kraft der Vernunft zusprachen. Darauf basiert die europäische Wissenschaftsgläubigkeit in der Moderne.
[2] Vgl. Damasio, Antonio R. (2004): Descartes’ Irrtum: Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn.
[3] Vgl. Pearsal, Paul (1999): Heilung aus dem Herzen, Goldmann.
[4] Auch in unseren Impulsgeschichten bemühen wir immer wieder tierische Beispiele und mentale Bilder, um zu ermutigen: Welche Entwicklungen sind möglich, wenn Grenzen v.a. im Denken im Hier und Jetzt überwunden werden?! Um drei Beispiele zu nennen:
- Die wundervolle Lebensreise der Lachse im Rhein zeigt ein schönes Beispiel tierischer Intuition oder Bauchentscheidung. Dabei wird kollektive Erinnerung über das genetische Programm von Generation zu Generation weitergegeben.
- Die Geschichte vom kleinen Elefanten am Pfahl symbolisiert, welchen Einfluss das emotionale Schmerzgedächtnis hat. Auch wenn der psychischen Auslöser ausgeheilt ist, bleibt der Glaube an die Schmerzen im Unterbewusstsein gespeichert. Auch wenn der Bauch falsch liegt – aus Angst vor dem Schmerz vermeiden wir neue Erfahrungen und Gewohnheiten.
- Das Gedankenspiel vom Affenkäfig bildet ab, wie Erfahrungen als Glaubenssätzen nicht nur genetisch, sondern auch morphogenetisch übertragen werden.
[5] Eine weitere Herzensmelodie von Dörte Badock findet sich im Beitrag über das Seelenlied.
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